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294 Elementarl. II. Th. II. Abth. Die transsc. Dyal. 294

ist kein Irrthum. In einer Vorstellung der Sinne ist (weil sie gar kein Urtheil enthält) auch kein Irrthum. Keine Kraft der Natur kan aber von selbst von ihren eigenen Gesetzen abweichen. Daher würden weder der Verstand, vor sich allein (ohne Einfluß einer andern Ursache) noch die Sinne, vor sich, irren; der erstere darum nicht, weil, wenn er blos nach seinen Gesetzen handelt, die Wirkung (das Urtheil) mit diesen Gesetzen nothwendig übereinstimmen muß. In der Uebereinstimmung mit den Gesetzen des Verstandes besteht aber das formale aller Wahrheit. In den Sinnen ist gar kein Urtheil, weder ein wahres noch falsches. Weil wir nun ausser diesen beiden Erkentnißquellen keine andere haben, so folgt: daß der Irrthum nur durch den unbemerkten Einfluß der Sinnlichkeit auf den Verstand, bewirkt werde, wodurch es geschieht: daß subiective Gründe des Urtheils mit den obiectiven zusammenfliessen, und diese von ihrer Bestimmung abweichend machen,[1] so wie ein bewegter Cörper zwar vor sich iederzeit die gerade Linie in derselben Richtung halten würde, die aber, wenn eine andere Kraft nach einer anderen Richtung zugleich auf ihn einfließt, in krumlinigte Bewegung ausschlägt. Um die eigenthümliche

liche

  1. Die Sinnlichkeit, dem Verstande untergelegt, als das Obiect, worauf dieser seine Function anwendet, ist der Quell realer Erkentnisse. Eben dieselbe aber, so fern sie auf die Verstandeshandlung selbst einfließt, und ihn zum Urtheilen bestimt, ist der Grund des Irrthums.
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Immanuel Kant: Critik der reinen Vernunft (1781). Johann Friedrich Hartknoch, Riga 1781, Seite 294. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kant_Critik_der_reinen_Vernunft_294.png&oldid=- (Version vom 18.8.2016)