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Voltaire: Kandide. Erster Theil

Schritte hinter sich, es überfiel ihn ein Grauen, als er die schöne Kunegunde so verwandelt sahe. Ihre Augen waren rot, triefend; ihr Busen brettern; ihre Wangen verschrumpft; ihre Ärm’ und Hände scharlachfarben und schuppicht. Um sie aber nicht zu kränken, naht’ er sich ihr. Sie umarmte Kandiden und ihren Bruder; man umarmte die Alte, und Kandide kaufte sie alle beide los.

In der Nachbarschaft lag ein kleines Vorwerk. Die Alte that Kandiden den Vorschlag, es in Erwartung glüklicherer Zeiten zu kaufen. Kunegunde wusste nicht, daß sie war häslich geworden; es hatte niemand davon einen Wink fallen lassen. Sie erinnerte Kandiden an sein Versprechen in einem so gebietrischen Tone, daß der gute Kandide sich nicht unterstand, ihr den Korb zu geben. Er ging also hin zum Baron und notifizirte ihm, daß er seine Schwester heuraten würde.

Diese Niederträchtigkeit von Seiten meiner Schwester, und diese Frechheit von Seiten Ihrer, Kandide, werd' ich nie zugeben, sagte der Baron. Bei Gott! diese Infamie soll man mir nie vorwerfen! Die Kinder meiner Schwester würden nie stifts- und turnierfähig sein! Nein, meine Schwester soll nie einen andern bekommen als einen Reichsfreiherrn.

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Voltaire: Kandide. Erster Theil. Berlin: Christian Friedrich Himburg. 1782, Seite 193. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kandide_(Voltaire)_193.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)