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Voltaire: Kandide. Erster Theil

Zwölftes Kapitel.
Wie übel es der Alten weiter ergieng.

Erstaunt und entzükt, meine Muttersprache zu hören, und über die eben vernommene Rede nicht wenig verwundert, erwiederte ich, daß es noch grössres Unglük gäbe, als das sei, worüber er sich beklagte. Mit einem Paar Worten erzält’ ich ihm alle das gräsliche Elend, dessen Raub ich gewesen, und sank wieder in Ohnmacht. Er trug mich in ein benachbartes Haus, legte mich in ein Bette, brachte mich wieder zu mir, erquikte mich, lies mirs nicht an Wartung und Trost, noch an Schmeicheleien abgehn; sagte, er habe nie auf Gottes Erdboden ein schönres Geschöpf gesehn, als mich, und seinen unersezbaren Verlust nie so stark betrauert, als jezt.

Ich bin aus Neapel bürtig, sagte er, wo Jahr aus Jahr ein zwei- bis dreitausend Knaben kappaunt werden. Einige sterben, andre erhalten Stimmen, die an Schönheit die weiblichen übertreffen, noch andre gehn aus in alle Lande, und werden an’s Regimentsruder gesezt. Ich ward mit dem günstigsten Erfolge kastrirt, und

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Voltaire: Kandide. Erster Theil. Berlin: Christian Friedrich Himburg. 1782, Seite 59. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kandide_(Voltaire)_059.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)