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Voltaire: Kandide. Erster Theil

heraufgeführt in ein vergoldetes Kabinet; hier mus er sich auf ein brokatnes Sopha niederlassen. Sie machte die Thüre zu, und ging fort. Kandide glaubte zu träumen, hielt sein ganzes Leben für einen widrigen Traum, und den jezigen Augenblik für einen glücklichen.

Die Alte kam bald wieder, und führte eine verschleierte Dame herein von majestätischem Wuchs und schimmerndem Anzug, die an jedem Gliede bebte und mit genauer Not von der Alten aufrecht erhalten werden konte. Nemen Sie den Schleier ab, sagte das Mütterchen zum Kandide. Er nahte sich, und hob mit blöder Hand den Schleier auf.

Wie dem jungen Mann in dem Augenblik zu Mute ward! Ihm deuchte, seine Barones Gundchen vor sich zu sehn, und sie stand in der That vor ihm. Dieser so überraschende Anblik fiel mit aller Macht über ihn; das Übermaas seines Glüks berauschte ihn so, daß er sprachlos und ohne Bewegung zu ihren Füssen hinsank, Gundchen fiel ohne Sinne auf’s Sopha.

Die Alte bestrich sie mit allerhand Stärkungswässern. Ihre Sinne sammelten sich wieder, die Sprache fand sich wieder ein. Unzusammenhängende Laute rissen sich anfänglich von ihrem gepressten Herzen los; und dann durchkreuzten

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Voltaire: Kandide. Erster Theil. Berlin: Christian Friedrich Himburg. 1782, Seite 35. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kandide_(Voltaire)_035.jpg&oldid=- (Version vom 7.6.2021)