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In dem Laufe dreier Sommer

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In des großen Eilands Dörfern

Zu der Inseljungfraun Freude,
Zu der Wonne aller Wittwen,
Ließ nur eine unerfreuet,
Eine arme, alte Jungfrau
Auf der langen Landzung’ Spitze,
In dem zehnten jener Dörfer.
     Dachte schon an seine Reise,
Um zur Heimath sich zu wenden,
Kam die arme, alte Jungfrau,

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Redet selber diese Worte:

„Armer Kauko, schöner Jüngling,
Willst du nicht auch mich bedenken,
Wünsch’ ich, wenn du weiter reisest,
Daß dein Boot auf Felsen laufe.“
     Nicht erhebt er vor dem Hahn sich,
Eh’ der Henne Sohn gekrähet,
Zu der Freude mit der Jungfrau,
Zu dem Scherze mit dem Mädchen.
     Drauf an einem Tage endlich

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Faßte er an einem Abend

Den Entschluß nun aufzustehen
Vor dem Monde, vor dem Hahne.
     Er erhob sich vor der Zeit noch,
Vor der angesetzten Stunde,
Macht’ sich auf um zu durchwandern
Alle Dörfer nach der Reihe
Zu der Freude mit der Jungfrau,
Zu dem Scherze mit dem Mädchen.
     Als allein des Nachts er gehet,

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Durch die Dörferreihe wandert,

Zu der langen Landzung’ Ende,
Zu dem zehnten jener Dörfer,
Sah er keinen von den Höfen,
Wo nicht drei der Häuser standen,
Sah er von den Häusern keines,
Wo nicht drei der Helden waren,
Sah er von den Helden keinen,
Der sein Schwert dort nicht geschliffen,
Der sein Beil nicht scharf gewetzet

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Zum Verderben Lemminkäinen’s.

     Sprach der muntre Lemminkäinen,
Redet’ Worte dieser Weise:
„Ach das Tagsgestirn erhebt sich,
Ja die liebe Sonne steiget
Auf den ärmsten aller Männer,
Mir auf meinen Hals, ich Armer!
Lempo würde nun den Helden
Wohl mit seinem Hemde schützen,
Wohl mit seinem Mantel decken

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Und in seiner Kappe bergen,

Wenn ihn hundert überfallen,
Tausend Männer ihn bedrängen!“
     Ließ die Jungfraun unumarmet,
Ließ die Sehnsucht nach denselben,
Wendet’ sich zu seinem Boote,
Er, der Arme, zu dem Nachen;
Schon verbrannt ist er zu Asche,
Ganz und gar in Staub verwandelt.
     Merkte schon das Unheil nahen,

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Daß ihm Unglückstage drohten,

Fing ein Schifflein an zu zimmern,
Sich ein neues Boot zu bauen,
Bauholz fehlt dem Zimmermanne,
Bretter um das Boot zu bauen;
Findet dort ein Bißchen Bauholz
Und gar wenig kleine Bretter,
Fünf der Stücke einer Spuhle,
Sechs der Trümmer einer Spindel.
     Zimmert sich darauf ein Fahrzeug,

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Baut sich einen neuen Nachen,

Macht mit Kunde dieses Fahrzeug,
Macht es voller Zauberweisheit,
Haut mit einem Schlag die Hälfte,
Mit dem zweiten dann die andre,
Hauet noch zum dritten Male,
Und schon fertig ist das Fahrzeug.
     Stößt das Boot dann in das Wasser,
Läßt das Fahrzeug in die Fluthen,
Redet Worte solcher Weise,

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Läßt sich selber also hören:

„Schwimm als Blase auf den Wogen,
Schwimm als Blümchen auf den Fluthen!

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 182. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_182.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)