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     „Siehst du, Bräutigam, du Lieber,

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Hast es Lebelang gehoffet,

Meint’st ein Mädchen hundertfachen,
Tausendfachen Werths zu holen;
Hast erlangt von hundertfachem,
Tausendfachem Werth ein Mädchen,
Gleich der Krähe von dem Sumpfe,
Von dem Zaun die flücht’ge Elster,
Von dem Feld die Vogelscheuche,
Aus dem Staub den schwarzen Vogel!“
     „Was hat sie bisher geleistet,

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Was im Sommer, der verflossen,

Wenn sie Handschuh nicht gestricket,
Wenn sie Strümpfe nicht gewirket!
Leer kam sie in diese Stube,
Ohne Gaben, zu dem Schwäher,
Mäuse lärmten in dem Kasten,
Langgeöhrte in der Kiste?“
     Lokka, sie, die gute Wirthin,
Sie, die schöne Kalewtochter,
Hört die wunderliche Rede,

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Redet Worte solcher Weise:

„Böses Kind, was redest du da,
Hast gar ehrenlos gesprochen!
Mög’ Verwundrung Andre treffen,
Schmähung Andere berühren,
Niemals aber diese Jungfrau,
Nie das Volk in diesem Hause!“
     „Schlecht genug hast du geredet,
Schlechte Rede wiederholet
Aus dem Mund des nächt’gen Kalbes,

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Aus dem Kopf des Tageswelpen;

Trefflich ist des Freiers Jungfrau,
Ist die Beste ihres Landes,
Gleicht der reifen Preiselbeere,
Gleicht der Erdbeer’ auf dem Berge,
Gleicht dem Kuckuck auf dem Baume,
Gleicht dem Vöglein in der Esche,
Einem Flattrer auf der Birke,
Einer Weißbrust auf dem Ahorn.“
     „Nimmer hättest du aus Deutschland,

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Hätt’st aus Ehstland nie erhalten

Eine Jungfrau solcher Schönheit,
Eine Ente solcher Anmuth,
Eine solche Zier ein Antlitz,
Einen solchen Stolz im Wuchse,
Solche Weiße an den Armen,
Einen Nacken solcher Wölbung.“
     „Nimmer leer erschien die Jungfrau,
Pelze hat sie mitgeholet,
Bringt Gewänder uns entgegen

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Und Gewebe führt sie mit sich.“

     „Ja, gar viel hat diese Jungfrau
Mit der Spindel schon geleistet,
Mit der Spuhle schon geschaffen,
Mit den Fingern schön bereitet,
Kleider von dem schönsten Glanze
Hat im Winter sie entfaltet,
Hat im Frühjahr sie gebleichet,
Hat im Sommer sie getrocknet,
Gute Tücher für die Betten,

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Gute Kissen drauf zu liegen,

Seidne Binden schön zu fühlen,
Wollne Decken schönen Glanzes.“
     „Gutes Weibchen, schönes Weibchen,
Weibchen mit der frischen Farbe,
Warst zu Hause sehr gerühmet,
In dem Vaterhaus als Tochter,
Sei nun immer hier gerühmet
Bei dem Mann als Schwiegertochter!“
     „Wolle nimmer Sorgen haben,

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Dich dem Kummer nicht ergeben;

Bist nicht in den Sumpf geführet,
Nicht zum Lauf des Bachs geleitet,
Bist geführt aus reichem Boden,
Bist geführt zu vielfach reicherm,
Bist geführt aus Bieresstuben
Zu weit größrer Bieresfülle!“
     „Gute Jungfrau, schönes Weibchen,
Dieß nur will ich von dir fragen:
Sahst du als du hergekommen

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Schöngespitzte Korneshaufen,

Roggenmiethen schöngewipfelt,
Sie gehören diesem Hause,

Empfohlene Zitierweise:
Elias Lönnrot, Anton Schiefner (Übers.): Kalewala, das National-Epos der Finnen. Helsingfors: J. E. Frenckell & Sohn, 1852, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Kalewala,_das_National-Epos_der_Finnen_-_154.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)