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hebt die Köpfe von Sänden aus den Fluchen, läßt sie wachsen und sie erhöhen; zunächst weidet Vieh auf diesen neu entstandenen Domänen, der Pächter führt sich zuletzt eine Worth auf und siedelt sich an. Aber rasch ändert sich die Strömung, Sände „brechen ab“, ganze Morgen versinken im Wasser, oft so regelmäßig, daß man den Bestand auf Jahre voraus berechnen kann, wenn dieselben Bedingungen bleiben. Der wachsende Außendeich fällt dem Besitzer der anliegenden Länderei zu, kleine Höfe sind dadurch mächtige Besitzungen geworden, große schrumpften zusammen. Seit Menschengedenken sind nicht nur „Priele“, (d. h. kleinere), nein „Reeden“ (d. h. größere Kanäle), und ganze Flußarme zur Weide geworden, auf denen das jetzige Geschlecht noch große Ever fahren sah: Seeschiffe gehen unbehindert, wo vielleicht der Vater des nächsten Anwohners der Rappsblüthe sich freute oder die Schaaren seines Viehes zählte. Mit Mühe wehrt man durch Uferbauten solchem Abbruch, selbst die Deiche werden gefährdet, wenn das Vorland fehlt, und mehr und mehr deckt man sie jetzt gegen den täglichen Andrang durch Steinkajungen, deren Material, die gewaltigen Granitblöcke unserer Ebenen, einst große Fluthen und schwimmende Eisberge von Norwegens felsiger Küste zu uns brachten. Aber auch die Deiche brechen zuweilen bei gefährlichen Sturmfluthen, wie zuletzt namentlich 1825; am drohendsten kommen diese im Herbste bei schwerem Nordwest. Wer heute die Schirme des Landes sieht, wie dahinter die Häuser die Worthen verschmähen, wer bei gewöhnlicher Fluth beobachtet, wie manches Binnenland, z. B. das „Alte Land“, unter dem Niveau des Wassers liegt, der glaubt, seit Menschen hier wohnen, habe auch das Deichwesen von vorn herein bestehen müssen. Allerdings ist das alt; die erste Anlage ruht im Dunkel der Zeiten; ehe sie gemacht würde, war ein Wohnen nur auf Worthen möglich, wie jetzt im Außendeich; um so mehr als die alten eingedeichten Flächen noch niedriger liegen, vielleicht zu frühe eingedeicht sind, ehe sie hinreichend wachsen konnten. Aber die ersten Versuche führten gewiß nur zu „Sommerdeichen“, gegen Sommerfluthen die Felder zu schützen; Genossenschaften thaten sich

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Friedrich Köster: Alterthümer, Geschichten und Sagen der Herzogthümer Bremen und Verden. Stade: In Commision bei A. Pockwitz, 1856, Seite 035. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:K%C3%B6ster_Alterth%C3%BCmer_035.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)