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und Wohlleben, das hungernde, nach Brot schreiende Volk zur Zielscheibe ihres Witzes zu wählen sich erkühnt hatten? Was war sie, verglichen mit dem unheilvollen Geschick jenes Greises, der bei der Zerstörung der Bastille im dunkelsten Kerker derselben aufgefunden worden war? Wie gewöhnlich ohne Verhör und Urtheil hatte vor undenklicher Zeit eine lettre de cachet in jenes Grab der Lebenden ihn hinabgestoßen. Welches Vergehens man ihn anklagte, hat nicht er selbst, hat Niemand jemals erfahren, auch König Ludwig XV. nicht, der gewohnt war, jene Glück und Leben tödtende Waffe als eine nicht abzuschlagende kleine Gefälligkeit der Fürsprache mächtiger Günstlinge gedankenlos preis zu geben.

Wochen, Monate, Jahre lang saß der Unglückliche da, lichtlos, einsam, in Hunger und Blöße, in Nässe und Kälte, und konnte nicht sterben. Er hörte zuletzt auf, die Tage, die Jahre zu zählen, vergaß endlich sogar seinen eigenen Namen, und was er früher in der Welt gewesen, und vegetirte in dumpfem Halbbewußtsein fort, von Allen, sogar von seinem Kerkermeister vergessen, nur von dem Knecht nicht, der aus alter Gewohnheit seine karge Nahrung gleich einem im Käfig gehaltenen wilden Thiere ihm zuweilen hinwarf.

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Johanna Schopenhauer: Jugendleben und Wanderbilder. Band 2. Georg Westermann, Braunschweig 1839, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jugendleben_und_Wanderbilder_II_021.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)