Seite:Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft 1 (1843).pdf/355

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

Ueberrest allheidnischer Gedanken und Lehren erblicken und mich etwa darauf hin für die Richtigkeit der Nachrichten Procop’s, hinsichtlich der Identität Perun’s und des deus deorum im Helmold erklären. Eine Reihe anderer Stellen und Redensarten, in denen das Wort Bog noch jetzt gebräuchlich ist, übergehe ich hier vorläufig, weil sich späterhin Gelegenheit finden wird, sie ausführlich zu betrachten und bemerke nur noch, dass bei den Slowaken sich der Ausdruck Praboh (Urgott) findet, der freilich bedeutsam klingt, der aber auch so abstrakt ist, dass man nichts daraus zu schliessen berechtigt sein dürfte.

(Wird fortgesetzt.)




IV.
Literatur und Kritik.
1. Kurze Skizze der Geschichte der russischen Literatur.
(Nach den Otecz. Zapiski 1843.)
Fortsetzung.

 Mit Derżawin beginnt eine neue Periode der russischen Poesie, und wie Lomonosow ihr erster Name war, so ist Derżawin ihr zweiter. In Derżawin machte die russische Poesie einen grossen Schritt nach vorwärts. Wir hatten gesagt, dass in einigen Dichtungen Lomonosow’s neben der in jener Zeit bemerkenswerthen Vollkommenheit in der Versifikation auch noch Leben und beseeltes Gefühl zu finden ist; wir müssen indess an dieser Stelle hinzusetzen, dass der Charakter dieses Beseeltseins in Lomonosow mehr den Redner als den Dichter sehen lässt, und dass in gar keinem seiner Gedichte künstlerische Elemente gefunden werden. Derżawin dagegen ist eine reine Künstlernatur, ein Dichter von Beruf; seine Produkte sind voll poetischer Kunstelemente, und wenn trotz dem der allgemeine und herrschende Charakter seiner Dichtungen ein rhetorischer ist, so ist daran nicht er schuld, sondern seine Zeit. In Lomonosow kämpfte zweifacher Beruf, der des Dichters und des Gelehrten; der letztere war stärker, als der erste; Derżawin war nur Dichter und weiter nichts. In seinen Gedichten muss man bereits das Beseeltsein und das Gefühl bewundern; aber das ist nicht ihr erster noch ihr grösster Vorzug; sie tragen bereits den höheren Stempel der Kunst, den Glanz künstlerischer Schöpfung an sich. Die Muse Derżawin’s war seelen- und gefühlsverwandt der griechischen Muse, der Königin aller Musen; in seinen anakreontischen Oden blitzten die plastischen und graziösen Bilder der alten anthologischen Poesie; und dennoch waren Derżawin die alten Sprachen nicht nur gänzlich unbekannt, sondern es fehlte ihm auch überhaupt alle Bildung. Demzufolge begegnet man in seinen Dichtungen nicht selten Bildern und Gemälden der rein russischen Sprache, gezeichnet mit der ganzen Originalität des russischen Geistes und der russischen Sprache. Und wenn alles das nur aufzuckt und aufblitzt in abgesonderten Elementen und Einzelnheiten und nicht als ein Ganzes und Vollendetes erscheint, wie ein abgerundetes und durchgeführtes Gebäude, so dass man den Derżawin ganz lesen muss, um aus den in den vier Bänden seiner Werke zerstreuten Stellen den Begriff des Charakters seiner Poesie zusammenstellen, da man nicht auf ein einziges Gedicht als auf ein künstlerisches Poem hinweisen kann: so liegt die Ursache davon, wir wiederholen es, nicht[WS 1] in dem Mangel oder der Schwäche des Talentes bei diesem Helden unserer Poesie, sondern

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Druckfehler. nisht in der Vorlage.
Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 344. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/355&oldid=- (Version vom 7.4.2020)