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J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

 Der grosspolnische Dudelsack unterscheidet sich von der Krakauer, der Gebirgs- und der russischen Kobsa vorzüglich dadurch, dass der Spielende ihn nicht selbst aufbläst, sondern sich hierzu eines Blasebalgs bedient, der an der rechten Seite des Dudelsacks befestigt ist; auf diese Weise kann er auch spielen.

 Diesen Dudelsack-, Kobsa-, Bandura- und Leierspielern verdanken wir die Ueberlieferung der ältesten und schönsten Lieder, während das Andenken an die slawischen Guslaspieler gänzlich verschwunden ist. Sie waren die wirklichen Repräsentanten der Kunst, denn sie gingen von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt, und unterrichteten Andere im Liedersange und in der Musik. Von Jedem derselben lässt sich sagen, was das kleinrussische Lied vom alten Widort sagt:

„die alten Schlösser kennen ihn,
die alten Thaten lehrt er Euch,
in seinen Liedern lebten auf
die todten Jahre, die todte Zeit.

Стари замки его знають,
Винъ Билъ давныхъ учылъ васъ;
Въ его писняхъ отживають
Змерлыи Лита, змерлый часъ.“

 Wenn ein Leier- oder Dudelsackspieler sich zeigte, so lief das Volk sogleich in Haufen zusammen, und ward dann von ihm gewöhnlich mit folgenden Worten angeredet: „Habt ihr guten Leutchen schon die Geschichte (новыночку) gehört?“ Und war dann der Dudelsackspieler willens, ein historisches Lied zu singen, oder eine vaterländische Sage, so fing er so an:[1] стала ся намъ новына: geschehen ist uns eine Neuigkeit (d. i. Geschichte). — Kam er aber in ein herrschaftliches Schloss oder in den Hof eines Edelmanns, so bat er gewöhnlich mit den Worten um Gehör: „Hört, ihr Edelfräulein und ihr ehrsamen Edelfrauen!“ Und wenn er dann sein Lied endigte, so fügte er nicht selten, wenn er von einer entführten Jungfrau sang, die Lehre an: „Hört ihr Edelfräulein und ihr ehrsamen Edelfrau’n, wie gut es ist, mit Abentheurern herum zu wandern.“ oder: „Hört ihr jungen und mannbaren Edelfräulein, wie gar schlimm es ist, von Vater und Mutter zu wandern. “

Dieselben Einleitungen, mit welchen wir hier die Leier-, Kobsa- und Dudelsackspieler den Gesang ihrer alten Lieder beginnen sehen, finden sich auch bei den grossen Sängern, die einige Jahrhunderte vor diesen lebten, und von denen sich einzelne Denkmale noch erhalten haben. Dies beweist die königinhofer Handschrift. Auch dort beginnt das Lied von dem Turnier am Hofe des Fürsten an der Elbe mit den Worten:

Znamenajte starsi mladi
O potkach i o sjedani.

Merkt ihr Alten auf und Jungen!
Hört von Kämpfen, von Turneien.

 Eben so das Lied von Jaroslaw:

Zwjestuju warn powiest weleslawnu
o welikich potkach, lutych bojech;
nastojte і wes swoj um zbirajte!
nastojte i nadiwno wam sluchu.

Ich verkünd’ euch hochberühmte Sage,
Von gewalt’gen Kämpfen, wilden Schlachten.
Habet Acht und sammelt eu’r Gemüthe!
Habet Acht und horcht den Wunderdingen!

 In der Sammlung slowakischer Lieder von Kollar (Narodnie Zpiewanki T. II. Ofen 1835) befindet sich ein Lied, das gerade so anfängt, wie dieses: „Nesem wam nowinu smutnau d. i. ich bring’ Euch eine traurige Neuigkeit, d. i. Geschichte.


  1. Siehe Wojcic’s Piésni ludu Białochrobatów, Mazurów w Rusi i nad Bugu. T. I. II.
Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 311. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/322&oldid=- (Version vom 15.9.2022)