Seite:Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft 1 (1843).pdf/210

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang

Charakterzüge der Slawen, Kennzeichen ihres Stammes und Beschaffenheit ihres Bodens, zumal durch diese viele literarische und historische Aufgaben gelöst werden. 2. Die älteste und allen Slawen gemeinschaftliche Literatur der Denkmäler. 3. Die Denkmäler, welche den Uebergang vom Heidenthum zum Christenthum bilden. 4. Das Zeitalter des Heldengedichtes, die serbische Poesie, der Sagenkreis, welche die Herrschaft des Hauses Nemanicz umfasst. 5. Polen tritt im XV. Jahrhunderte an die Spitze, sammelt in sich alle geistigen und sittlichen Kräfte der slawischen Länder, entwickelt seine Literatur und erhebt sie zur Kunst. 6. Endlich von dem Zeitpunkt der Hemmung seines Fortschrittes im XVII. Jahrh. fängt die allgemeine Umbildung der slawischen Literatur an; Russland und Böhmen kommen wieder auf den historischen und literarischen Felde zum Vorschein. Dieser letzte Zeitabschnitt jedoch wird zum Gegenstande der Vorlesungen des künftigen Jahres dienen.“ (S. 43.) In der 5. 6. u. 7. Vorlesung löst nun Mickiewicz die unter 1. gestellte Aufgabe. Er schildert den Charakter der Slawen, das Land und ihre geistigen Zustände, die er mit den Worten beschliesst: „So musste das slawische Volk ohne Priester, Geburtsadel und ohne Könige sein.“ (S. 50.) Ganz gewiss unwahrscheinlich, wenn er nicht auf die Urzeit zurück geht, in welcher freilich jedes Volk, also auch die Slawen, in solch einem Zustande waren. (6) Der Mangel jeder Offenbarung brachte diesen Stillstand hervor, der in religiöser wie in politischer Hinsicht niederdrückend wirkte. Die politische Verfassung war eine höchst eigenthümliche, mit keiner andern vergleichbar. „Die slawische Organisation, wenngleich eigenthümlich und schön, war doch zur Vernichtung bestimmt, da sie keinen Keim der weiteren Entwickelung in sich trug. Sogar in dem tiefsten Dickicht ihrer morastigen Wälder hätten sie mit der Zeit ihr Geschlecht nicht schützen können, wenn sie nicht vorher in den Schoos ihrer Bevölkerung kriegerische Stämme aufgenommen hätten, die ihnen den Keim künftiger Staaten gebracht haben, und wenn nicht der christliche Glaube sie später aus dem Zustande der Civilisations-Unbeweglichkeit, einer Folge der längst abgestorbenen Religion, herausgezogen hätte. Mithin fängt die Geschichte der weiten Länder zwischen dem schwarzen und baltischen Meere erst mit der christlichen Epoche an.“ (7) Aus der Bemerkung, dass die alten Denkmäler uns nur von den Gränzen des Slawenthums, aus Kiew, Nowgorod, Retra, Arcona, über Götterverehrung berichten, wird S. 63 gefolgert, dass solches nur aus Nachahmungssucht der benachbarten Völker geschehen sei. Zur Annahme dieser Hypothese scheinen uns doch noch zu wenig Gründe vorzuliegen, da wir ja eben nur aus dem Gränzgebiete des Slawenthums Nachrichten haben, keineswegs aber im Stande, noch berechtigt sind, über das abzusprechen, was im Innern dieser Gränzlinie vorhanden gewesen oder geschehen ist. Eher könnten wir ein Solches von dem Königthum sagen, so dass es demnach nur zur Hälfte wahr wäre, wenn es S. 64 heisst: „Die Religion und das Königthum kreisten lange rings um die Sitze der Slawen herum und konnten sich den Eingang in das Innere nicht öffnen.“ Die Lebensweise war sehr einfach und wird sehr heiter und gemüthlich S. 64 und 65 geschildert; allein sie ging nicht aus dem Familienkreise hinaus. „Aus der ganzen Arbeit durch Jahrhunderte können die Slawen nur ein einziges Erzeugniss aufweisen — ihre Sprache. Alle ihre Kräfte, alle ihre Fähigkeiten wurden zur Ausbildung derselben verwendet.“ (S. 66.) Aus dieser Zeit stammt die gemeinsame Tradition, die sich in den ältesten Volksliedern und Fabeln erhalten hat. Mickiewicz stützt dieselben auf „allgemeine Rückerinnerungen aus den Zeiten vor der Sündfluth her.“ — „In ihnen giebt es wirklich sichtbare Spuren der anfänglichen Geschichte des Volkes, ja sogar mythische Erwähnungen seiner zukünftigen Schicksale.“ — „Diese Erzählungen nehmen sichtbar ihren Anfang im Osten und sind älter, als Tausend und eine Nacht. Ihr Alterthum übertrifft Alles, was die geschriebene Literatur aufbewahrt hat.“ (S. 70.) — (8) Diese Volkssagen haben das thierische Epos und die Apologie hervorgerufen. Die Theilung der Sprache in ihre Dialekte datirt sich aus den ältesten Zeiten, weil in

Empfohlene Zitierweise:
J. P. Jordan: Jahrbücher für slawische Literatur, Kunst und Wissenschaft. Erster Jahrgang. Robert Binder, Leipzig 1843, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Jahrb%C3%BCcher_f%C3%BCr_slawische_Literatur,_Kunst_und_Wissenschaft_1_(1843).pdf/210&oldid=- (Version vom 2.12.2019)