Johann Nikolaus Becker: Beschreibung meiner Reise in den Departementern vom Donnersberge, vom Rhein und von der Mosel im sechsten Jahr der Französischen Republik, in Briefen an einen Freund in Paris | |
|
Wünschen und Einbildungen lässt sich nichts zu Papier bringen.
Ich ging in den Dom. Aber ich kam nicht mit dem hohen Eindrucke zurück, den ich wohl ehemahls in diesem ungeheuern Gebäude empfangen hatte. Für mich haben die von geistlicher Habsucht zusammen geschleppten Schätze (traurige Bilder der Vormundschaft, welche die Priester seit Jahrtausenden über das unglückliche Menschengeschlecht ausgeübt haben) keine Reize. Vielleicht ist auch die Zeit nicht mehr fern, wo jeder rechtschaffene Mann es für Schande halten wird, eine Dompräbende anzunehmen; wo man für die Besoldung, die man vom Staate erhält, auch Arbeit verlangen wird. Glücklich ist man hier in Mainz, dass dieser Zeitpunkt nicht erst erwartet werden muss.
Es ist auffallend, in welchem Tone die ehemahligen Sinekuristén stets ihre reine Absichten für das Glück der Menschheit betheuerten, und dadurch sich in ihrem ruhigen Besitz und Genusse zu erhalten wussten. Wer aber Lust hätte, ihre Aufrichtigkeit in Zweifel zu ziehen, darf sich nur in der Geschichte der letzten 6 Jahre umsehen. Ich wenigstens bin Keiner von denen, die da zugeben, dass es durchaus in der Natur des Menschen liege, das allgemeine Beste zu wollen, ohne erst von
Johann Nikolaus Becker: Beschreibung meiner Reise in den Departementern vom Donnersberge, vom Rhein und von der Mosel im sechsten Jahr der Französischen Republik, in Briefen an einen Freund in Paris. Christian Gottfried Schöne, Berlin 1799, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:JN_Becker_-_Beschreibung_meiner_Reise_1799.pdf/69&oldid=- (Version vom 14.7.2023)