Johann Nikolaus Becker: Beschreibung meiner Reise in den Departementern vom Donnersberge, vom Rhein und von der Mosel im sechsten Jahr der Französischen Republik, in Briefen an einen Freund in Paris | |
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Orden ist, oder dass diese mährischen Brüder in der That traurige Empfindungen wecken: das Gefühl der Menschheit regte sich doppelt bei mir, als ich in diese Hallen, noch einsamer als Klosterzellen, eintrat. Alle Freude ist hier verbannt, und selbst jeder Zug von Fröhlichkeit und geselliger Mittheilung auf der Stirne der Brüder verschwunden. Sie reden nur sehr sehr leise und wenig, und beschäftigen sich immerwährend mit heiligen Visionen und Kasteiungen des Fleisches. Diess, nebst dem sitzenden Leben, lässt sie für die Freuden des Lebens ganz absterben, und stumpft sie biss zur Gefühllosigkeit ab. Sie wandeln wie Schatten umher, und sehen alle wie Gespenster aus, zur ewigen Todtenblässe verdammt. Bei jedem Geschäfte ziehen sie das grosse Buch des Lammes zu Rathe, ohne das sie nichts zu thun pflegen. Ist einer zum Heirathen inspirirt worden, so meldet er sich bei’m Vorsteher, der ihm das Mädchen, so eben an der Reihe ist, zuweis’t. Gefallen die Leute einander, so wird der Bund ohne weiteres geschlossen. Im anderen Falle aber muss das Mädchen zurücktreten, und das folgende wird dem Ehelustigen zur Probe gegeben, und diess geht so lange fort, bis sich zwei für einander geschaffene Seelen zusammengefunden haben.
Johann Nikolaus Becker: Beschreibung meiner Reise in den Departementern vom Donnersberge, vom Rhein und von der Mosel im sechsten Jahr der Französischen Republik, in Briefen an einen Freund in Paris. Christian Gottfried Schöne, Berlin 1799, Seite 305. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:JN_Becker_-_Beschreibung_meiner_Reise_1799.pdf/331&oldid=- (Version vom 18.11.2023)