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Walther Kabel: Im Kugelregen (Reclams Universum, Jahrgang 26)

mehreren Damen und Herren bestehende Gesellschaft in merklich beschleunigter Gangart folgte.

„Die Herrschaften haben den braven Reitersmann wohl nach dem Wege nach Oliva gefragt,“ sagte der Assessor sorglos. „Na, da sind sie ein gut Stück abgekommen.“

Bald war dieser kleine Zwischenfall vergessen. Einsam lag jetzt der hellbeschienene Strand vor ihnen, in der Ferne das große Kurhaus von Brösen mit dem Seesteg, dahinter die Mole von Neufahrwasser mit dem Leuchtturm. Gerade verließ ein großer Seedampfer die Hafeneinfahrt und hielt Kurs auf die Spitze von Hela zu. Aus seinem Schonstein quoll dichter Rauch, der in der stillen Luft auf das Wasser fiel und sich wie ein Wolkenschleier über den See lagerte. Ringsum eine seltene Stille. Kein Lebewesen weit und breit zu sehen. Nur zwei Krähen, die ungraziös herumhüpfend in dem ausgeworfenen Seetang nach toten Fischen gesucht hatten, erhoben sich jetzt schwerfällig vor den Nahenden und strichen niedrig dahin, um sich einige hundert Schritte weiter wieder niederzulassen. Und in der Ferne aus der Richtung des großen Exerzierplatzes bei Saspe her tönte kaum vernehmbar das Knattern von Gewehrfeuer herüber.

In lebhafter Unterhaltung hatten die beiden inzwischen ihren Weg fortgesetzt und die rote Fahne längst passiert. Die hohen Dünen waren verschwunden und nur eine Wand von Weidengesträuch auf der mäßigen Uferhöhe verdeckte den Ausblick in das flache, dahinterliegende Land. Da wies Frau Käthe plötzlich mit der Hand auf die spiegelglatte See hinaus:

„Sehen Sie nur, was mag das nur sein?“ fragte sie lebhaft. „Ja … diese seltsamen Kaskaden meine ich … Ach, wie hoch das Wasser aufspritzt! Ob das Fische sind?“

Heinz Büding war stehengeblieben und starrte auf diese merkwürdige Erscheinung, für die er auch keine sofortige Erklärung fand.

„Jetzt nähern sich die Spritzer dem Ufer … da … da … und wie weit vor und hinter uns das Wasser damit bedeckt ist,“ rief Käthe Traut in sorglosem Interesse.

Da fühlte sie sich plötzlich von seinen Armen fast roh umschlungen, hörte eine keuchende, ganz entstellte Stimme.

„Um Gottes willen, werfen Sie sich hin … nur das kann uns retten.“ Und er versuchte sie niederzwingen, rang mit ihr … Eine sinnlose Angst war über sie gekommen und sie verlieh ihr eine Kraft, daß sie sich gegen seine Umschlingung wehrte, ihn von sich drängen wollte … Und bei diesem Ringen warf sie einen schnellen Blick in sein Gesicht, das leichenblaß war und in dem die Augen so wild flimmerten und von der Anstrengung weit vorgetreten waren.

„Lassen Sie mich, ich rufe um Hilfe!“ schrie sie entsetzt, stemmte die Fäuste gegen seine Schultern, schlug nach ihm … Da hatte er sie schon wie eine Feder hochgehoben und in den Sand gedrückt. Sie schrie wie eine Verzweifelte, wollte auf … Er aber kniete neben ihr, hielt sie fest, rief ihr Worte zu, die sie in ihrer Angst kaum verstand, deren Inhalt sie nicht begriff. Und wieder versuchte sie den Oberkörper aufzurichten. Da hatte er den Mund dicht an ihr Ohr gebracht … und gellend schallte es ihr jetzt deutlich entgegen:

„Käthe, ich beschwöre Sie, bleiben Sie ruhig. Der Husar … die rote Fahne … wir sind in die Feuerlinie einer scharfschießenden Truppe gekommen … Die Kaskaden sind … Geschoßaufschläge im Wasser …“ Jetzt hatte sie ihn verstanden; ein lähmendes Entsetzen ließ sie kraftlos zurücksinken und die Hände vor die Augen pressen … Also daher dieser Ausdruck in seinen Blicken, seine scheinbare Brutalität … Und um sie her jetzt schon ganz dicht am Ufer, bald näher, bald ferner die aufzischenden Wassersäulen, es war, als ob die See in weitem Umkreise kochte. Und da - Heinz Büding duckte sich unwillkürlich tiefer, huschten auch in dem Sande die Staubwölkchen auf, bald hier, bald dort … Und in der Luft dieses Sausen wie von einer vorüberziehenden Windsbraut, unheimlich, tückisch.

Und während jetzt des Assessors Augen hilfesuchend den Strand entlang irrten, bestürmten ihn wie eine Bergeslast die vorwurfsvollen Gedanken, daß er nur durch seine Unachtsamkeit, eine ihm jetzt unverständliche Kurzsichtigkeit das Leben der Geliebten dieser furchtbaren Gefahr ausgesetzt hatte. Er, der seit Jahren regelmäßig einige Wochen seines Sommerurlaubs in Zoppot zubrachte, hätte die Bedeutung der roten Flagge, des ihnen zuwinkenden Husaren erkennen müssen. Oft genug schon war sein Blick in dem Badeanzeiger über jene gesperrt gedruckte Warnung achtlos hinweggeglitten, in der die Badegäste darauf aufmerksam gemacht wurden, daß an dem und dem Tage von Vormittag … Uhr bis … Uhr der Strand südlich Glettkau bis kurz vor Brösen für jeglichen Verkehr verboten sei, da das 1. Leibhusarenregiment aus Langfuhr an diesem Tage vom Lande aus nach der See ein Scharfschießen abhalte, daß weiter die gefährdete Uferstrecke durch rote Fahnen abgegrenzt und außerdem durch Posten bewacht würde … Jetzt, da es zu spät war, besann er sich auf all diese Einzelheiten, die bisher kein Interesse für ihn gehabt hatten. Jetzt konnte er sich auch das Benehmen des Husaren erklären, der die Gesellschaft von Spaziergängern vor ihnen gewarnt und aus seinem bedeutungslosen Hinübergrüßen mit dem Hut geschlossen hatte, daß auch er und Frau Käthe vom Strande in die Dünen abbiegen würden. Daß

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Walther Kabel: Im Kugelregen (Reclams Universum, Jahrgang 26). Phillip Reclam jun., Leipzig 1910, Seite 1188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Im_Kugelregen.pdf/5&oldid=- (Version vom 1.8.2018)