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Walther Kabel: Im Kugelregen (Reclams Universum, Jahrgang 26)

aus. Er wollte ihre Freundschaft hinnehmen als Ersatz, nur – damit er sie nicht ganz verlor. Sie hörte ihm stumm zu; nur ihre feinen Nasenflügel vibrierten und in ihren Blick kam langsam eine seltsam trostlose Starre.

Und er redete und redete, sprach sich allmählich in eine gewisse Fröhlichkeit hinein, mit der er sich doch selbst betrog.

„Ich schreibe Ihnen zweimal in der Woche, Frau Käthe. In die Briefe kommt alles hinein, was von meinem einsamen Assessordasein in dem Städtchen überhaupt erwähnenswert ist. Und wenn mich einmal der Zufall nach Königsberg führt, dann suche ich Sie auf und wir feiern ein frohes Wiedersehen, frischen unsere Erinnerungen auf.“

Sie hörte lange nicht mehr zu. Also so leicht, so schnell hatte er sein Wünschen begraben, daß er ihr, ihr jetzt von Briefen sprach, die ihnen die Gegenwart ersetzen sollten! Dann hatte er sich doch selbst in der Größe seines Gefühls getäuscht, seine Leidenschaft war nichts als ein Rausch gewesen, der sich von heute auf morgen verflüchtet hatte. Unter dieser Erkenntnis brach sie beinahe zusammen. Eine namenlose Angst erfaßte sie plötzlich vor der einsamen Zukunft, die sie mit ihrer mädchenhaften Weichheit, ihrer Unkenntnis des Lebens allein durchschreiten sollte. Und aus dieser Angst wuchs etwas Neues hervor, das jetzt mit erschreckender Klarheit vor ihr stand: sie liebte ihn, liebte ihn so, daß nur er diese trüben Jahre auslöschen konnte … nur er! Daß sie ihm ihre Hand überlassen wollte, so gern, damit er sie weiterführe zum Glück, das er ihr so oft ausgemalt hatte, so oft.

Frau Käthes Lippen preßten sich immer fester aufeinander. Und gerade jetzt blieb er stehen und wies rückwärts auf das wunderbare Bild, das der Bogen der Danziger Bucht mit dem Hintergrunde der bewaldeten Höhen, den hellen Villen am Zoppoter Strande und weiterhin dem schroffen Abfall von Adlershorst darbot.

„Norddeutsche Riviera!“ sagte er versonnen und schaute leuchtenden Blickes auf dieses in Sonnenlicht getauchte Panorama, dessen wechselnde Schönheit sein naturfrohes Empfinden immer wieder entzückte.

Dann gingen sie weiter an dem kleinen Badeort Glettkau vorüber, der halb versteckt zwischen hohen Buchen und Pappeln liegt, an den verwitterten Budenreihen des Herrenbades und dem wie ausgestorben erscheinenden neuen Kurhause. Endlich hatten sie beide die anfängliche gedrückte Stimmung überwunden und plauderten harmlos und eifrig wie in den besten Tagen ihrer Bekanntschaft. Da wurde ihre Aufmerksamkeit plötzlich durch einen Vorfall in Anspruch genommen, dem sie zunächst keine weitere Bedeutung beimaßen. Vor ihnen in einer Entfernung von ungefähr 500 Metern war eine größere Gesellschaft von Spaziergängern soeben von einem Reiter, dessen Husarenuniform deutlich zu erkennen war, angehalten worden und bog jetzt vom Strande in die Dünen ab, die hier mit verkrüppelten Kiefern dicht bestanden waren und bis nahe an die See heranreichten. Der Husar ritt neben den Fußgängern her und schien eifrig auf sie einzureden. Und jetzt drehte er sich auf seinem Pferde um und winkte eifrig mit seiner Lanze zu ihnen hinüber, indem er dabei öfters in die Richtung wies, wo vorwärts auf einer Anhöhe eine rote Fahne in dem kaum fühlbaren Lufthauche träge flatterte.

„Was mag er nur wollen?“ meinte Frau Käthe neugierig. Da hatte schon Heinz Büding seinen weißen Panama abgenommen und schwenkte ihn grüßend in der Luft. Der Reiter gab darauf seinem Grauschimmel die Sporen und war bald zwischen den Dünen verschwunden, wohin ihm auch die aus

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Walther Kabel: Im Kugelregen (Reclams Universum, Jahrgang 26). Phillip Reclam jun., Leipzig 1910, Seite 1187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Im_Kugelregen.pdf/4&oldid=- (Version vom 1.8.2018)