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Dir auf die Dauer vollen Ersatz für all’ deine großmüthigen Opfer bieten zu können, hätte mich wahnsinnig gemacht oder mir den Dolch in die Hand gedrückt. Ich weiß ja, Curt, Du bist so gut und edel, wie vielleicht kein Mann weiter auf Erden; Du hättest es mich nicht fühlen lassen, es wäre Tag für Tag ein Gegenstand des Studiums für Dich gewesen, mich über den Zustand Deines Innern, über die Leere und – Reue Deines Herzens zu täuschen, Du hättest die Geduld und Sanftmuth eines Engels bewiesen, – aber ich hätte es doch gefühlt, und ich wäre das elendeste Weib auf Erden geworden, wie ich das glückseligste gewesen.

„Ob das alles richtig ist, unumstößlich richtig – ich bin zu bescheiden, das zu behaupten; aber alles, was ich vom Vater gelegentlich gehört, alles, was ich einsam geträumt und gesonnen, zwang mich und zwingt mich noch heute, so zu denken und so zu fühlen, und wäre ich Deiner schönen, idealen, schwärmerischen Liebe werth gewesen, wenn ich nicht den Muth und nicht die Kraft hätte, das süße Lied zur rechten Stunde in dunklen, weichen Tönen ausklingen zu lassen? Und die rechte Stunde war gekommen – es war die höchste Zeit geworden, daß ich für Dich starb und Dir die Freiheit des Handelns und der Entschließung zurückgab. Ich gab in einer vornehmen Familie Unterricht im Feinsticken; dort kannte man die Dir zugedachte Braut und sprach von ihr, ohne zu ahnen, daß ich Dich kannte – man behandelte die Verlobung wie eine vollzogene Thatsache und mit welchen Empfindungen mein Blick auf dem Bilde des reizenden, anmuthigen jungen Geschöpfs geruht hat, das Deine Frau werden sollte – Dein feinfühliges Herz, mein geliebter Freund, mag Dirs sagen. Man sagte mir sehr viel gutes und liebes von ihr, man rühmte ihren Verstand, ihr Zartgefühl, ihr edles Herz und ihre Talente, man warf die Frage auf, ob Du diesen Schatz auch verdientest. Ein paar Tage vor dem Nachtfest im Walde erfuhr ich, daß Dein Onkel, sein Waffenbruder und die Komtesse Valerie für die ersten Tage der nächsten Woche angemeldet seien – hast Du nun den Schlüssel zu allem, was die letzten Tage so seelenvoll und poetisch, so wehmütig-lieblich – und so leidenschaftlich gemacht hat? Begreifst Du nun, mein armer, theurer Freund, daß ich um jede Minute geizte, daß meine brennenden Lippen danach schmachteten, den letzten Becher, der ihnen gefüllt kredenzt ward, auch bis auf den letzten Tropfen zu leeren und daß ich halb willenlos, halb entschlossen, halb gezwungen, halb freiwillig, in ohnmächtiger Hingabe an mein Gefühl und in trotziger Verachtung der Welt und ihrer Satzungen Dir gab, was Du mir gewiß nie genommen hättest? Ich habe es wie im Rausch und im Traum gethan und doch bewußt – ich nehme die volle Verantwortung auf mich und wenn meine Lippen wieder gelächelt haben, seit sie Dir das ‚Lebewohl auf immerdar!‘ zuflüsterten, so hat die Erinnerung an jene dunkelselige Liebesnacht dieses Lächeln hervorgezaubert. Ich bereue nicht, Curt, und ich werde nicht bereuen; ich denke nicht schlechter von mir und bin heute noch stolz auf meine Liebe und auf alles, was ich aus reinster Liebe gethan. Laß mir den Glauben, daß auch Du durch alle Wechsel der Schicksale und alle kommenden Jahre in verschwiegener Seele mein Bild Dir aufbewahren wirst – verblichen, aber fleckenlos, wehmüthig-ernst, aber in unvergänglichem Reiz. Ich wäre zu Ende und kann doch kein Ende finden. Ach, mein geliebter Freund, wie viele Jahre der Zukunft, die so nebelgrau und freudlos vor mir liegt, gäbe ich für einen letzten Blick in Deine lieben Augen, für einen Druck Deiner Hand, für einen Kuß Deines rothen, heißen Mundes! Das Herz will mir zerspringen, wenn ich denke, daß ich Dich nie wiedersehen soll und wie eine zum Tode Verdammte stöhne ich hinaus in Wind und Nacht: ‚Muß es denn sein?‘ Aber jedesmal kommt dumpf und tonlos die Antwort zurück: ‚Es muß sein – unterwirf Dich!‘ So sei es denn – ich kaure im Geiste zum letzten male auf dem Fußbänkchen zu Deinen Füßen und schmiege den Kopf an Deine Knie, ich fühle Deine Finger zärtlich mit meinen gelösten Flechten spielen und ich küsse Deine kleine, weiße Rechte und meine warmen Thränen tropfen auf diese liebe Hand, die mir so oft liebkosend über den Scheitel glitt. Ich danke Dir inbrünstig für all die schöne, wunderbare, edle Liebe, die Du so verschwenderisch über mein armes, einsames Herz ausgegossen hast; ich danke Dir für sie, obgleich ich sie Dir ehrlich vergolten und mit Schmerzen und Thränen erkauft habe, und wenn ich nicht eine halbe Heidin, wenn ich fromm wäre und beten könnte, so würde ich des Himmels besten, reichsten Segen herabflehen auf Dein Haupt. Du wirst noch glücklich werden, Curt, mein unerhörtes Opfer wird nicht vergeblich sein; Du wirst auch wieder lieben, wenn auch vielleicht nicht wieder so, wie du mich geliebt – willst Du dann in stillen Stunden des Alleinseins zuweilen mild und versöhnt, mit einem verklärten Rest alter Zärtlichkeit zurückdenken an die Verschollene, deren ganzes Wesen Liebe zu Dir war, treue schmerzenreiche, aufopfernde Liebe, an Deine arme, einsame Leontine?“ –

Reinisch kam nur langsam vorwärts mit der eigenthümlichen Lektüre; als er geendet, gab er den Brief bewegt und schweigend zurück und Curt drückte die bärtigen Lippen ehrfurchtsvoll auf die thränenverwüsteten Blätter. Dann ging er. Nach Hause? Wer weiß es?

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Es ist eine ziemlich zahlreiche und bunte Gesellschaft, die sich an einem Hochsommerabend an dem Landungsplatze einer kleinen Flotille von Flußruderbooten zusammenfindet. Unsere jungen Freunde, die mit Curt in wahrer Herzlichkeit verkehren, sind vollzählig am Platze; auch Reinisch hat wieder einmal eine Einladung erhalten, wohl mit Rücksicht auf seinen „ritterlichen“ Freund. Ein ganzer Schwarm von Studenten sucht sich mit den Damen bekannt zu machen, bei deren Auswahl aber mehr auf ein gutes Herz, als auf Jugend und körperliche Vorzüge gesehen worden zu sein scheint; der imitirte Pariser in Zeugstiefelchen mit Lacklederbesatz und der Herr Kapellmeister sind auch da. Zur bestimmten Zeit rollt auch die leichte zweispännige Equipage heran, in welcher Fräulein Walujeff mit Mutter und Bruder sich in die Mitte ihrer allzeit Getreuen begibt; sie sieht sehr wohl und heiter aus und hat für jeden ein verbindliches Wort, ein anmuthiges Lächeln. Mit einiger Mühe werden die Theilnehmer in fünf kleineren oder größeren Booten glücklich untergebracht und Tatjana hat es so einzurichten gewußt, daß sich Curt in ihrem Boot befindet.

Man hat die letzten Häuser der Stadt bald hinter sich und nur da und dort steht ein einsamer Angler am Ufer und blickt unverwandt und geduldig nach dem Kiel, der auf der Flut treibt; der Himmel ist bedeckt und still und immer stiller wird es ringsumher – nur das Schilf lispelt zuweilen und durch das Laub einzelner alter Espen geht leises, irres, geheimnißvolles Flüstern. Der Fluß beschreibt anfänglich eine Menge Krümmungen; plötzlich thut sich eine breite, gerade Wasserstraße auf, hoher, dichter Laubwald tritt bis hart an die Ufer heran und wirft seine Schatten über den Wasserspiegel und da und dort taucht Gebüsch die Spitzen seiner herabhängenden Zweige in die dunkle Flut. Man zieht die Ruder ein und hält eine Viertelstunde Rast; das Gespräch in allen Booten wird in dem Maße, als die Dämmerung niedersinkt, einsilbiger und leiser, und die Stille und Einsamkeit, die nur dann, wann das leise Rinnen und Plätschern der Wellen, der klagende Schrei der Rohrdommel im Schilf, ein gedämpfter Signalpfiff oder der ferne Ruf eines Waldkäuzchens unterbricht, nimmt jedes Gemüth gefangen. Die und jene Dame hält die Hand in das Wasser und läßt sie von der lauen Welle liebkosen; da und dort hat sich ein Herr eine Cigarre angezündet, die wie ein Glühwürmchen durchs Dunkel leuchtet und in jedem Boote macht im silbernen Becher der duftende Rheinwein die Runde. Nach einer halben Stunde wird die breite Wasserstraße verlassen und man biegt in einen schmalen, vielfach gewundenen Seitenarm ein; es ist anfänglich so dunkel, daß man die Hand vor den Augen kaum sieht, denn die Kronen der Bäume zu beiden Seiten vereinen ihre Schatten und wirres, üppiges Unterholz überhängt das enge, verschilfte Bett. Aber da geht der Mond auf und die zweifelhafte matte Beleuchtung, welche er über die malerischverwachsene Wildniß ausgießt, wird mit einem „Ah!“ der Bewunderung begrüßt; alle Umrisse bleiben verschwommen und alles nimmt seltsam phantastische Formen an. Zwanzig mal scheint es, als müsse die Fahrstraße im nächsten Moment ein Ende haben; man muß das Gezweig des Buschwerks mit den Rudern zur Seite drücken, aber dann blitzt auch im Mondlicht wieder ein Wasserstreifen auf, und mit langsamen Ruderschlägen dringen die Boote weiter und weiter vor in den stillen Winkel, der eigentlich nur den Fischern bekannt ist. Und dann ist man am Ende des Waldes – hüben und drüben breiten sich Wiesen aus, über denen bereits dünner weißer Nebeldunst lagert und die Boote wenden an einer etwas breiteren Stelle und legen am Ufer des Seitenarms, nicht weit von der Vereinigung desselben mit dem Fluß, vorsichtig an. Hier bietet sich ein prächtiger begraster Lagerplatz unter alten Rüstern; der Wald ist im

Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Idealisten. , Leipzig 1880, Seite 623. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_52_65.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)