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ich am nächsten Tage meinen pflichtschuldigen Anstandsbesuch machte. Die Folge war, daß ich für Mittwoch zum Abendessen eingeladen ward, so daß ich mir in meiner übertriebenen Gewissenhaftigkeit bereits die Frage vorlegte, ob ich nicht am Ende galanter gegen die heiratsfähige Tochter gewesen sei, als einem jungen Manne, ‚der eine Zukunft hat’, erlaubt ist. Als ich vor dem Hause ankam, schickte sich ein Miethwagen eben an, abzufahren, und auf der Treppe schon holte ich – Fräulein Walujeff ein. Das ist doch gewiß schon etwas – die Hauptsache kommt aber erst noch. Die Thür zum Speisezimmer stand offen und ich sah zufällig, daß Fräulein Tatjana, die drüben mit der Frau vom Hause plauderte, die Karten auf den Couverts musterte, ihr etwas zuflüsterte, ein zustimmendes Nicken zur Antwort erhielt und dann einen Tausch über den Tisch weg vornahm. Da schoß mir natürlich das Blättchen – und in der That stellte sich dann heraus, daß Fräulein Walujeff meine Nachbarin zur Rechten war –, sie hatte auf der andern Seite sitzen sollen und der Tausch hatte nur bezweckt, sie neben mich zu bringen; ich hatte mir das betreffende Couvert zu genau gemerkt. Selbstverständlich habe ich nicht das mindeste davon verrathen, daß ich eine unabsichtliche Indiskretion begangen hatte –“

„Das wäre auch über’s Bohnenlied gegangen, das aber steht fest, daß Sie den Kartentausch hatten sehen sollen; die Walujeff ist viel zu schlau, um sich belauschen zu lassen, wenn ihr das nicht in den Kram paßt!“ erläuterte Wendt. „Nun, wie war’s weiter? – ich bin gespannt.“

„Ja, wenn ich das so recht wüßte,“ erwiderte Lindner, „ich kann ja nicht einmal sagen, welche Farbe ihr Kleid hatte. Nur das weiß ich, daß ihr lächerlich kleines Spitzentaschentuch nach Veilchen duftete und daß auf ihren Manschettenknöpfen Käfer krochen –“

„Auch eine feine Aufmerksamkeit für Sie!“ schaltete Wendt ironisch ein.

„Ach, Dummheit,“ wehrte sich Linder, „wer wird denn gleich so weit denken? Uebrigens waren es ganz alberne Phantasiekäfer – als ob die Natur nicht die reizendsten und bizarrsten Vorbilder in Mengen lieferte! Geplaudert haben wir von allem möglichen – d. h. sie hat in einemfort gefragt und ich hatte eben zu antworten. Manchmal waren die Fragen recht naiv, aber, du lieber Gott, was lernt denn so ein Mädchen und – was merkt sie sich? höchstens, daß die Korallen und die Perlen nicht auf den Bäumen wachsen.“

„Nun, Sie werden das arme Mädchen hübsch gelangweilt und halb zu Tode dozirt haben,“ sagte Wendt, der vor Neugierde brannte. „Haben Sie Tatjana nach Hause begleiten dürfen?“

„Allerdings – ich mußte sogar. Die Frau Regierungsrath fragte mich, ob ich Fräulein Walujeff nach ihrer Wohnung begleiten wollte; ein Wagen sei schwer aufzutreiben und die Nacht sei schön. Ich verbeugte mich und die Sache war geordnet. Nun kam aber der Haken; ich wußte nicht recht, ob ich ihr den Arm biete sollte, unterließ es also. Ich bin ja keineswegs klein, aber sie ist reichlich einen halben Kopf höher als ich und das genirte mich; ich dachte es würde lächerlich aussehen. Dazu rauschte und raschelte alles an ihr von Seide, es war alles in allem ein äußerst unbehagliche Situation. Sie meinte, wir würden wohl bald einen Wagen finden, ich sagte nichts darauf und richtig stand auf dem nächsten freien Platz eine Nachtdroschke, in der sie denn davon fuhr.“

„Oh, Sie Lamm Gottes!“ rief Wendt, halb belustigt, halb geärgert, „was haben Sie nun da wieder gemacht! Es liegt doch auf der flachen Hand, daß sie von Ihnen nach Hause begleitet sein wollte, denn eine Droschke ist jederzeit zu beschaffen – das war mir also nur eine faule Ausrede. Das mindeste, was Sie zu thun hatten, war doch, Ihr Bedauern darüber auszusprechen, daß Ihre Hoffnung, noch eine halbe Stunde ungestört mit ihr plaudern und ihre liebenswürdige Gesellschaft genießen zu können, auf diese Weise vereitelt werde. Ich wette meine Nase gegen einen Pflaumenkern, daß sie darauf in der verbindlichsten Weise erwidert hätte, sie gehe viel lieber und habe nur gefürchtet, den Herrn zu geniren. Von Hirschkäfern und Aaskäfern und Wasserkäfern verstehen Sie unmenschlich viel, geliebter Lindner, von den Frauenzimmern aber nichts, am allerwenigsten von den Tatjanas. Jedenfalls haben Sie’s auf plumpste Weise mit ihr verschüttet – sehen Sie nun zu, wie Sie die Sache wieder einrichten!“

„Mit dem „Verschüttethaben“ wird’s so schlimm kaum sein,“ mischte sich der Maler ins Gespräch; „wer weiß, ob Lindners ganzes unqualifizirbares Benehmen ihm nicht – vor der Hand – die Wege ebnet. Entweder hat sie ihn amüsant schüchtern gefunden und den Schüchternen macht man bekanntlich Konzessionen, um sie zu ermuthigen, oder sie ist pikirt wegen seiner Unempfindlichkeit[WS 1] – und das ist noch besser. Und die andern sind also ganz leer ausgegangen? Born macht allerdings ein Gesicht wie drei Meilen böser Weg – er wäre gewiß an Lindners Stelle unternehmender gewesen und hätte einige schwärmerische Floskeln riskirt, die man ja, wenn man ein fruchtbarer Dramendichter ist, im Nothfall immer für poetische Licenzen erklären kann.“

„Bitte,“ erwiderte Born, „ich war gestern Abend zur Fortsetzung unserer Lektüre eingeladen; es wurde freilich nichts aus dem Lesen, denn es war Besuch da – ein geleckter, unausstehlicher Elegant, der drei Jahre in Paris war und sich seine Ansichten über die Frauen in der Closerie des Lilas und im Jardin Mabille gebildet hat; natürlich ist er nun blasirt, weltschmerzelt ein wenig und schmachtet Fräulein Walujeff dazu in ziemlich dreister, beinahe frivoler Weise an; der vertrauliche Ton, den er immer wieder anzuschlagen sucht, hat mich geärgert, doch was kümmert’s mich? Uebrigens muß sie etwas gemerkt haben –“

„Das glaub’ ich unbeschworen,“ bemerkte Wendt, „der Herr Isegrimm von König in ‚des Sängers Fluch’ kann nicht menschenfeindlicher ausgesehen haben, als Sie gestern Abend – furchtbar prächtig, wie blutiger Nordlichtschein.“

Born ignorirte die Spötterei und fuhr fort:

„Sie flüsterte mir wenigstens in der ersten Minute des Alleinseins zu, ich solle mich an des Herrn Manieren nicht stoßen. Er habe in Paris eine bedenkliche Schule durchgemacht und das mache er sich gelegentlich geltend; er sei aber ein drolliger und nebenbei keineswegs dummer Kerl, sie habe beinahe Mitleid mit ihm und betrachte es als ihre Aufgabe, ihm zu beweisen, daß es auch noch andere Frauen gebe, als die, deren Bekanntschaft er im Babel an der Seine gemacht habe.“

„Worauf sich Ihr Germanengemüth natürlich in Geduld faßte?“ spottete Reinisch. „Nun, warten Sie nur, dergleichen wird noch hübscher kommen – für’s erste war das ‚nur ein Tröpflein Fegefeuer‘. Ich kann mich ja irren, aber ich bin überzeugt, der Herr kam Fräulein Walujeff gestern sehr gelegen, wenn er nicht ad hoc geladen war – sie hat sich angesichts Ihrer aus den Poren sickernden Eifersucht wahrscheinlich besser amüsirt, als bei Ihrem Drama.“


  1. Vorlage: Unmpfindlichkeit
Empfohlene Zitierweise:
Rudolf Lavant: Idealisten. , Leipzig 1880, Seite 579. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Idealisten_49_51.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)