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Wir haben gesehen, dass erst diese den Begriff der Asianer schafft, dass sie bei Dionysios so weit geht, die gesammte hellenistische Prosa zu verwerfen; wir wollen nun sachlich prüfen, was man den Asianern vorwarf: wenn unsere Rechnung stimmt, so muss das in der Rhetorik der Kaiserzeit überwunden sein, ganz so wie die hellenistische Litteratur wirklich bei Seite geworfen ist.

Der eine Vorwurf ging den Rhythmus an; sie sollen gesündigt haben, theils durch die Wahl zu weicher Rhythmen, theils durch die durchgängige Rhythmisirung (ἔμμετρα ποιεῖν), womit die Zerhackung der Rede in lauter einzelne Sälzchen zusammenhing, theils durch die Eintönigkeit, welche die Bevorzugung weniger Schlüsse zur Folge hatte. Von dem ersten sehen wir besser ab, da unser Urtheil über die Wirkung und Qualität der einzelnen Rhythmen schwerlich objectiven Werth hat.[1] Die beiden anderen Vorwürfe hängen mit den beiden Compositionsarten zusammen, die in der griechischen Prosa unbeschadet der Zeit und Stilrichtung nebeneinander bestanden haben, seit es eine gab, die periodisirte und die kommatische Rede. Die Periode ist von Isokrates, dem Schüler des Gorgias, vollendet; sie wird in ihrer Structur passend mit der Architectur verglichen,[2] man darf aber auch den strengen Bau eines Musikstückes vergleichen,[3] Harmonie ist für beide Künste unentbehrlich. So kommt es in diesem Stile dahin, dass ein geübtes Ohr den nothwendigen Abschluss vorausempfindet und sich die Schlussglieder der Periode, so weit sie die Klangwirkung angehen, von selbst ergänzt. Erwachsen ist die Periode, in deren Namen die Rückkehr zum Ausgange und der harmonische Abschluss liegt, aus den Figuren des Gorgias, Parisose und Antithese, die gern durch das lediglich musikalische Mittel des Reimes und der Assonanz hervorgehoben werden. Aristoteles hat in Theorie und Praxis die Periode von Isokrates übernommen, und so regirt sie in der hohen Prosa, namentlich der Geschichtschreibung, durchaus.


  1. Die alten Kritiker dachten an Rhythmen, die ihnen unanständig schienen, weil sie in unanständigen Gedichten herrschten, namentlich den Ithyphallicus, der den Schluss des Soladeus bildet, und andere ἀνακλώμενα. Die werden auch von Asianern nur einzeln gesucht sein, wie von Hegesias. Schlüsse wie –⏑––– sind das Gegentheil von lasciv, und doch werden sie bevorzugt.
  2. Demetr. π. ἑρμ. 10. 15.
  3. Die Rede im Ganzen ist einem νόμος gerade in ältester Zeit verglichen worden, daher die Termini προοίμιον u. a.
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Asianismus und Atticismus. In: Hermes. Zeitschrift für classische Philologie Bd. 35. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1900, Seite 32. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_35_032.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)