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oder vielmehr eines Asianismus, denn er unterscheidet mehrere Arten: so wenig präcis dünkt ihn der Begriff, obwohl er gar nicht der ganzen Beredsamkeit, sondern nur der dictio, der φράσις gilt; von dem Wortschatze ist nur insofern die Rede, als die κύρια ὀνόματα den πεποιημένα gegenüber stehn, nicht die Ἀττικά den Ἑλληνικά oder σόλοικα. Die Stelle des Orator reproducirt getreu die fremden Vorwurfe, Schwulst und Ueberladung an jeglichem Schmucke der Rede, vornehmlich auch in ihrer dadurch monoton werdenden Rhythmisirung. Das schien auch ihm ein Fehler, und er liess sich gern gefallen, dass er auf die Unbildung von Karern und Phrygern zurückginge; er selber kannte die Unbildung und Geschmacklosigkeit seiner Landsleute genug, die sich daher mit dem Schwulste des Hortensius befreundet hatten, bis er auf Grund seiner tiefen Griechenbildung ihnen besseres zeigte. Aber er merkte auch, dass er den atheistischen Pedanten die Asiaten nicht preisgeben durfte, ohne selbst sowohl seine eigene Stellung wie das höhere Ideal seines Redners zu gefährden. Er ist doch auch der unvergleichlich sachverständigste Mann, den wir hören künnen, und wenn für ihn der Asianismus ein unklarer Begriff und die Verurtheilung der ganzen Richtung eine Ungerechtigkeit gewesen ist, so wird er schon Recht haben.

Vielleicht schon vor Cicero hat Santra gesagt, dass die Asiaten, als sie hellenisirt wurden und sich in der Rede versuchten, aus Unkenntniss der κύρια ὀνόματα auf Umschreibungen verfallen wären, die sich dann in ihrer Beredtsamkeit behauptet hätten. Quintilian citirt dies (XII 10,16), wo er die antiqua divisio inter Atticos atque Asianos bespricht,[1] d. h. die ihm aus der Tradition bekannt, seiner Zeit aber bedeutungslos war. Santras rein grammatische Bemerkung ist interessant: die Periphrase ist ja wirklich für die κοινή im Gegensatze zu der alten Sprache charakteristisch, freilich nicht für Asien mehr als für Syrien und Aegypten. Von solchen Beobachtungen hat Cicero nichts gewusst; andererseits geht Santras Urtheil die Stilkritik nichts an.

Dionysios von Halikarnass ist selbst ein Karer oder wenigstens Asiate, so dass er den Namen meiden muss; aber er giebt in der


  1. Er selbst fügt als Mittelding die Rhodier hinzu, deren Schule nach der bekannten Tradition Aischines gestiftet habe. Ihre Beurtheilung ist interessant, weil sie nicht aus Cicero stammt; sie sind lenibus stagnis similes: das stimmt dazu, dass der ältere Apollonios μαλακός hiess, Strab. 655.
Empfohlene Zitierweise:
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff: Asianismus und Atticismus. In: Hermes. Zeitschrift für classische Philologie Bd. 35. Berlin: Weidmannsche Buchhandlung, 1900, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermes_35_004.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)