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Reaction und der Ultramontanismus gebracht! Staatsmänner könnte man jetzt für Geldprämien in ganz Europa aufsuchen lassen. Hessen[1] und Dänemark[2] geben furchtbare Beispiele für Inhumanität und Tirannei; doch genug der finstern Aussichten, – vielleicht Folge meiner lästigen Krankheit! – Aber wie gern spricht man zu einem vertrauten Herzen und freut sich, wenn die Welt nachher dennoch anders geht und vielleicht Wunder von einer unverhofften Seite auftreten. Dieses Grübeln gesellt sich zu den Räthseln der Natur und des Lebens und der sogenannten Ewigkeit. Eigentlich ist der Gedanke an das Schicksal und diese gemißbrauchte Vorsehung zum verzweifeln! Denn da wenigstens tausend Unglückliche einen Glücklichen aufwiegen, da Tod und unbekannte, künftige Leiden oder dumpfes Nichtsein Folge dieses jetzigen Lebens ist, da jene Allmacht auf keine Weise zu begreifen und dem Vernünftigen auf alle hohe Fragen nur ein nüchternes „Nein!“ geantwortet wird, – so ist meine Lage darin eine glückliche zu nennen, weil das ganze Puppenspiel nun bald zu Ende sein muß. Man kann weder von dem Woher noch dem Wohin etwas Bestimmtes aussagen; und so sehen Sie denn, liebste Freundin! wie ich mit dem zunehmenden Alter immer mehr ein Zweifler geworden bin. Doch ist Zweifeln eben so thöricht als Wissen! glücklich, wer glauben kann! wenn ihn nicht eine verdächtige Hand zu weit und tief in Labyrinthe hineinführt. Wenn Sie gestimmt sind, erfreuen Sie mich bald mit einem Ihrer lieben, für mich unsterblichen Briefe; ich hebe auch die allerkleinsten mit großer Sorgfalt auf. Denn jedes Ihrer Worte ist ein klares, überzeugendes, und wenigstens lernt man aus jedem Ihrer Blätter, und diese Wollust des Lernens hat mir ein gütiges Schicksal immer noch vergönnt. Wenn unser Geist fortdauert, hat er freilich noch viele Zeit und Gelegenheit, sich zu unterrichten, und vielleicht ist uns dann ein neuer Instinkt geworden, das Ewige und den Höchsten, Unbegreiflichen zu fassen und zu verstehen. – Doch genug meines Fafelns! Der Himmel erhalte Sie froh und gesund und mir bleibe Ihr liebendes Andenken und Wohlwollen. Immerdar

Ihr
ergebenster
L. Tieck.


XII[3]
Verehrte, liebevolle, herrliche Freundin!

Ich schreibe Ihnen etwas später, weil ich immer gestört war durch kleine Geschäfte oder übergroße Mattigkeit. Denn mein Zustand ist immer noch derselbe


  1. In Hessen wurden unter dem Direktor des Ministeriums des Innern, Reinhard Freiherr von Dalwigk, die Beamten gemaßregelt, die Untertanen bespitzelt, alle reaktionären Bestrebungen einseitig begünstigt, jede Regung eines fortschrittlichen und freien Geisteslebens dagegen unterdrückt. Siehe Wilhelm Diehl, Allgemeine deutsche Biographie XXXXVII 614.
  2. Dänemark bedrückte die Schleswig-Holsteiner nach dem unglücklichen Ausgang der Erhebung der Herzogtümer durch Zwangsmaßnahmen schlimmster Art. Siehe darüber Otto Brandt, Geschichte Schleswig-Holsteins, Kiel 1925, 155.
  3. Von Zaunick aus Mscr. Dresd. App. 314 Band 2 S. 157–161 in Carus, Lebenserinnerungen V 105–108 erstmalig veröffentlicht.