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wir spielen mit allen diesen Worten wie mit Hieroglyphen: daß wir aber einen Begriff hinter ihnen ahnen, berechtigt uns gewissermaßen hierzu, ja daß selbst die Begeisterung, die wir als eine Art Emanation unserer Seele fühlen, sich nach innen kehren kann, und uns dadurch weniger fühlbar werden als Kraft, hebt doch die Wirkung des durch sie Erworbenen nicht auf: aber eben all dieses Erworbene wirkt dann nicht mehr als Sichtbares, sondern zieht sich in ein Geheimnißvollstes zusammen, andern und uns als letztes und höchstes Räthsel unsers Lebens.

Es ist vielleicht anmaßend, sich auch selbst so über diese Gegenstände auszulassen, allein Sie kennen meine Weise, etwas, das so als dunkles Gefühl in mir aufsteigt, hinzuwerfen, unbekümmert darum, ob diese Vorstellung ein Gedanke ist oder nicht, und die ganze Frage an sich ist eine für uns zu wichtige, als daß man nicht den Offenbarungen seines Innern eine Ueberzeugung hierin abzulauschen versuchen würde.


IX
Berlin d. 12ten Mai 1852.
Geliebte Freundin!

Ich eile Ihnen zu melden, daß ich durch Eduard Devrient schon vor mehrern Tagen den Macbeth erhalten habe auf eine ganz kurze Anforderung. Aengstigen Sie sich also über diesen Umstand nicht weiter. Ich lasse jetzt das Dresdner Exemplar abschreiben[1] und schicke es dann zurück, wie ich schon einmal gethan habe. Ihr Brief war mir wieder sehr lehrreich; nur da ich die schlimmsten Entwickelungen in meiner frühesten Jugend erfahren habe, ist mein Gefühl über den Tod, Vernichtung und dergleichen ein ganz anderes geworden. Mein Leben war immer eine verzweifelnde Resignation, was auch wohl mit meinem Temperament des Jähzornes zusammenhängt. Ein verzweifelnder Ueberdruß am Dasein und ein fast muthwilliges Hineinstürzen in die sogenannte Vernichtung. Die arme Bardeleben, – der unglückliche Loebell[2]! Jawohl ist das Elend der Menschheit groß und erdrückend. Ich habe wohl nur wenige Menschen so mit allen Elementen meines Daseins tief und gründlich verachtet, als diesen Louis Napoleon[3]. Wenn mir schon Bonaparte als ein Nichtswürdiger erschien, wie nun vollends dieser elende Pfifficus, und der den größten Theil seiner verächtlichen Nation, ohne das Mindeste gethan zu haben, an Zwirnsfäden hält.

Für heute nehme ich Abschied und nenne mich

Ihren
treuesten Freund L. Tieck.

  1. Das Dresdener Exemplar des Shakespeare'schen Macbeth, das Tieck sich ein Jahr vor seinem Tode durch den ihm befreundeten Eduard Devrient nach Berlin schicken ließ (vgl. auch den folgenden Brief), war wohl anläßlich der Dresdener Neuaufführung des Stückes am 18. März 1836 (vgl. Proelß a. a. O. 460 und 617) entstanden. Es dürfte ein für diese Aufführung von Tieck angelegtes Regiebuch mit bühnentechnischen Bemerkungen gewesen sein, in der Art des im Besitz des Dresdener Kammersängers Dr. Waldemar Staegemann befindlichen Regiebuchs zu König Lear, das Karl Devrient, zu dessen Glanzrollen der Lear gehörte, mit vielen handschriftlichen Zusätzen versehen hat.
  2. Loebell wurde wohl damals bereits von qualvollen körperlichen Leiden heimgesucht. Vgl. Bernhardt a. a. O. 7.
  3. Nach dem Staatsstreich vom 2. Dezember 1851 hatte der Prinzpräsident Louis Napoleon ein Plebiszit über die Grundzüge einer neuen Verfassung und die Verlängerung seiner Amtszeit auf zehn Jahre angeordnet. Am 20. und 21. Dezember stimmten 7 439 216 dafür, dagegen nur 646 737. Daraufhin verkündete Napoleon am 14. Januar 1852 die neue Verfassung. Vgl. Propyläen-Weltgeschichte VIII: Liberalismus und Nationalismus 1848–1890 S. 75 f.