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Alles, ganz, innigst – und dazu fehlt mir jezt die Kraft. Trauer, Melankolie hat mir Alles verdüstert. So bin ich selbst zum Schattenbild geworden, zu einer Einbildung, mein Leben ist nur noch Gewohnheit, ohne reelle Wahrheit.

Daß Sie nicht öfter hergekommen sind! Zu Zeiten hier gewohnt haben, wie Sie doch überzeugt waren, daß es sich öfter so fügen würde. Das könnte mich neu beleben. Denn wie ich auch alle meine Freunde durchgehe, fühle ich innigst, daß ich zu Ihnen die meiste Liebe, das größte Vertrauen habe. Ihr edler, kräftiger Geist könnte den meinen wieder erwecken. Ihr blizähnliches Erscheinen und eben so schnelles Verschwinden genügt aber nicht: ich muß immer erst zur Besinnung kommen, eine Art Gewohnheit muß für mich erst eintreten, ehe es mir ein Genuß wird. Eine Art von Jugend könnte mir dann zurück kommen. Ach welche Träume und wie viele muß man im Leben und mit dem Leben aufgeben.

O Liebste, daß Ihr edler Geist, Ihre Phantasie sich auch mit dem Schandwesen der sogenannten Politik hat befassen müssen[1]! Es drängt sich uns so nahe, so ungestüm und frech auf, daß wir die Niedertracht nicht ganz zurückweisen oder völlig ignoriren können – aber, Liebste, ziehn Sie Ihr Gemüth, Ihre Seele u(nd) Gedanken so viel als möglich von diesem Unwesen u(nd) Frevel unsrer unglücklichen Zeit zurück. Jedes Interesse, jede Beschäftigung ist edler. Mir thut es weh, ein Deutscher, ich schäme mich, ein Berliner zu sein. Welche Zeiten haben wir erlebt! Das ist nun der Schluß meines Daseins.

Ihre lieben Briefe sind mir ein rechter Trost: Sein Sie nicht unwillig u(nd) mißverstehn den Einfall nicht, manches vielleicht bekannt zu machen. Erstens, ist es noch im weiten Felde: zweitens – würde ich Sie nicht nennen, nur das literarische, Urtheile über Bücher, über die meinigen u(nd) d(er)gl(eichen). Nicht im mindesten sollten Sie kompromittirt werden, kein Mensch würde erfahren, daß diese Stellen von Ihnen herrührten, aber ein Trost könnte es mir sein, von einem so hohen Geiste sich so beurtheilt zu sehn, u(nd) diese Gedanken andern edlen Menschen zu gönnen. Um Gotteswillen lassen Sie aber Ihre Briefe nun nicht ängstlich werden, denn wenn Sie es nicht wollen, soll kein Wort bekannt gemacht werden.

Ich nährte auch schon den Wunsch, daß die bessern meiner Briefe (so wenige ich geschrieben habe) mir in Abschrift zukommen möchten, oder im Original, die ich Ihnen dann wieder zurück schickte.

Sie sind wieder krank gewesen, u(nd) gefährlich[2], auch Ihr lieber Sohn[3]. O wie viele Leiden u(nd) Schmerzen in dieser Sterblichkeit!

Meinen Gruß dem H(errn) v(on) Lüttichau. Was ich für das dortige Theater mit vieler Mühe errungen hatte, ist nun wahrscheinlich schon ganz verschwunden.

Berlin den 9t. Sptbr. 49. L. Tieck.


  1. Frau von Lüttichau verabscheute die revolutionären Gewalttätigkeiten der Jahre 1848–1849, insbesondere die Frevel des Dresdener Maiaufstandes, in tiefster Seele.
  2. Im Sommer hatte Frau von Lüttichau, wie sie in ihrer Antwort schreibt, einen starken Gichtanfall erlitten.
  3. Ihr am Leben gebliebener zweiter Sohn Wolff Siegfried Karl, von dem im folgenden noch mehrfach die Rede ist, war am 30. September 1834 geboren. Vgl. Gothaisches genealogisches Taschenbuch der adeligen Häuser, Jahrg. 4, 1903, 536. Er wurde später Herr auf Ulbersdorf und Sellin, Königlich Sächsischer Kammerherr, Oberhofmeister der Königin von Sachsen mit dem Titel eines Wirklichen Geheimen Rates. Vgl. Zaunick a. a. O. V 203 Anm. 150.