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zu unterwerfen. Aber Freundschaft, Liebe, Poesie, Natur, und ächte Religion sind in uns das Ewige, das wir schon hier freier und selbstständiger machen können, um so die göttliche Täuschung, in der wir leben und sind, zu einem wahrhaften Symbol des Göttlichen und Gottes zu machen.

Der Ihnen dieses Blatt mit meinen besten Wünschen überreicht, ist ein Baron Keudell[1], ein Preuße, der mir einen Roman, die Musikanten, vorgelesen hat, welchen ich habe bewundern müssen. Der Mann selbst scheint mir für jene neumodische Freiheit zu schwärmen, die die knappste Gebundenheit und Unfreiheit ist, das wahre sterile Philisterthum unsrer Tage, was Königthum, Thron, ächte Monarchie, das Mystische einer wahren Regierung und des ächten Staates aus jenen engherzigen Widersachlichkeiten so wenig begreifen kann, wie jene ältern Nicolaiten[2] die Poesie, Glauben und Religion nicht fassen konnten.

Was Sie mir neulich von den Neu-Katholiken[3] schrieben ist sehr wahr. Und doch wünsche ich dieser Secte den besten Fortgang, um nur jenen schändlichen Uebergriffen despotisch-fanatischer Hierarchie und der Pfaffenherrschaft ein Gegengewicht zu sehen. Leider findet der Jesuitismus bei allen Herrschern, auch den protestantischen Vorschub, weil die alte Täuschung, daß diese Lüge die Legitimität fördere, wieder aufgewacht ist, da die Geschichte, die freilich für Herrscher nicht geschrieben ist, so klar das Gegentheil lehrt. Wir gehn einem Religions- und Bürgerkriege entgegen, wenn das Schicksal nicht, und Gott persönlich die so leicht getäuschten Deutschen noch einmal durch unvorhergesehene Begebenheiten erretten.

Wenn ich Sie doch nur endlich einmal persönlich sähe! Was mir immer wieder ist vereitelt worden. Kommen Sie ja, womöglich, den 1. Juni, wie Sie sich vornahmen[4]. Je früher je besser. Ueber meine Reise kann ich noch nichts bestimmen. Doch muß ich jedenfalls bald nach Potsdam[5] gehn. Sie werden doch gewiß mehrere Tage hier verweilen? Man braucht ja einen ganzen Tag, um das Fremdgeworden zu überwinden.

Die Gräfinn grüßt Sie herzlichst und wie ich mich auf Ihren Anblick freue, können Sie gewiß nicht ganz ermessen. Wie geht es (scherzendo gesagt) mit Ihrer Selbstständigkeit? Daß Sie oft mir ungetreu werden[6], hätte nichts zu bedeuten, aber daß Sie oft von Ihrem edelsten Selbst abfallen, weil Ihr Talent sich in andre Seelen und Gesinnungen zu versetzen, unverhältnismäßig gegen Ihre wahre Seele zu stark ist, das ist schlimm. Ich weiß nicht, ob Sie mich hier verstehn, oder verstehn wollen.

Ich beuge mich vor Ihrem Geist und edlen Herzen. Wie viel habe ich Ihnen zu danken! Nie war ich (Novalis[7] abgerechnet) so seelenreich wie in Ihrer Gegenwart: Ihr Gespräch weckte immer den Zwillingsgeist in mir, und ich entdeckte


  1. Überbringer dieses Briefes war der 1808 zu Königsberg geborene Schriftsteller Rudolf Wilhelm Leopold Karl von Keudell, der um 17 Jahre ältere Bruder des deutschen Staatsmannes Robert von Keudell; vgl. Jahrb. des Deutschen Adels II, 1898, 255. Nach Rudolf von Gottschall (Die deutsche Nationallitteratur des 19. Jahrhunderts IV, 675 f.) verfaßte K. zunächst Romane in Tieckscher Art. Die „Musikanten“ wurden anscheinend nicht gedruckt. Die von Tieck gerügten freiheitlichen Anschauungen Keudells kamen vor allem in seinen späteren Werken: „Die Politiker. Eine Tendenz-Novelle geschrieben im Herbst 1848“ (Leipzig 1848) und „Außerhalb der Gesellschaft.Träumereien eines gefangenen Freien“ (4 Bände, Leipzig 1849) zum Ausdruck.
  2. An der Spitze der Nicolaiten stand der „Nestor der Berliner Aufklärung“, der Buchhändler Friedrich Nicolai, der Herausgeber der Allgemeinen deutschen Bibliothek, der Verleger der Straußfedern, für die Tieck in den Jahren 1795–1798 notgedrungen Beiträge lieferte. Nicolai's Wesensart charakterisieren am besten die ihm beigelegten Bezeichnungen „Repräsentant der Unpoesie“, „Goliath der Philister“, „Antipode der neuen Goetheschen Dichtung“. Zu seinen hauptsächlichsten Anhängern gehörten die Theaterleiter und Dichter Johann Jakob Engel und Karl Wilhelm Ramler. Vgl. R. Haym, Die romantische Schule 5 61–64.
  3. Eine deutsch-katholische Gemeinde, ein Glied der von dem abgesetzten schlesischen Priester Johannes Ronge ins Leben gerufenen deutsch-katholischen Kirche, hatte sich am 15. Februar 1845 auch in Dresden gebildet. Vgl. Rechenschaftsbericht über das Provisorium der deutsch-katholischen Gemeinde zu Dresden (Dresden 1845) und dazu Handbuch der Kirchengeschichte, herausgegeben von Gustav Krüger IV2, bearbeitet von Horst Stephan und Hans Leube, Tübingen 1931, § 36, 12. – Papst Pius VII. hatte durch das Breve vom 7. August 1814 die Wiederherstellung des Jesuitenordens verfügt. Sie hatte eine gewaltige Machtsteigerung des Ordens zur Folge. Vgl. Handbuch a. a. O. IV2 , § 31, 2.
  4. Im Juni 1846 auf der Reise nach dem ihr durch Erbschaft zugefallenen Familiengute Sellin hielt sich Frau von Lüttichau einen Tag bei Tieck und der Gräfin auf (Ein Lebensbild 37 f.). Über ihren Besuch berichtete sie an Carus (Lebenserinnerungen III 221 f.): „Allerdings war der Anblick der beiden alten Freunde schmerzlich, da sie beide körperlich in diesen vier Jahren sehr zurückgegangen sind. So fand ich denn also Tieck einestheils verändert und doch auch nicht verändert. Denn wenn er saß und sprach, obgleich viel magerer und spitzer und kränker aussehend als sonst, war alles doch ziemlich auf die alte Weise.“
  5. Den Sommer verbrachte Tieck bis zum Jahre 1848 in Potsdam in einer ihm vom König eingerichteten freundlichen Gartenwohnung, die übrige Zeit wohnte er in Berlin, Friedrichstraße 208, in einem vornehmen einstöckigen Hause. Vgl. Köpke a. a. O. II 108 f., 124 f.; Berend a. a. O. LXXV.
  6. Bis zu seinem Weggang von Dresden durfte Tieck sich glücklich schätzen, in Frau von Lüttichau jahrelang eine Persönlichkeit um sich zu haben, der es gegeben war, seine dichterischen Gedanken und Pläne nicht nur klar zu erfassen, sondern auch mit feinem Verständnis zu vertiefen und weiterzuführen (Ein Lebensbild 32 f.). Sein Erbe trat Carus an, der seit Herbst 1839 täglich mit ihr zusammenkam. Ihr teilte der geistvolle Arzt die schwierigsten Kapitel seiner Psyche, die 1846 im Druck erschien, zur Prüfung mit und hatte reichen Gewinn von diesem Gedankenaustausch (Lebenserinnerungen III 167, 211).
  7. Des frühvollendeten Seelenfreundes Novalis hat Tieck als Mitherausgeber seiner Schriften im letzten Absatz der Vorrede zur 1. Auflage von 1802 (S. XI f.) ehrfürchtig gedacht.