Seite:Heft32VereinGeschichteDresden1937.pdf/28

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Kräfte und Anlagen entwickeln sich harmonisch und ungestört, und die liebenswürdige Louise findet einen festen Standpunkt, einen nothwendigen im Leben, da sie ihre Genialität doch ohne erfüllte Liebe wahrscheinlich unglücklich, schwach und zerrissen machen würde.

Alle Leidenschaft in Liebe zur Poesie und Kunst, zur Natur und Religion schafft, macht glücklich, beseeligt, wenn sie Enthusiasmus, geheiligt wird und klar, göttlicher Natur bleibt: – wird die Leidenschaft dunkel, verwirrt, heftig und willkührlich, so bemächtigen sich böse Dämonen des Menschengeistes und führen Unglück, Entsetzen, Elend aller Art herbei: die scheinbare Liebe wird Wahnsinn, Eifersucht, Haß und Wuth: die Religion wird Schwärmerei, Verfolgung, Fanatismus und Tollheit: Kunst und Poesie erzeugen dann Fragen und Unsinn, und die Natur verwandelt sich in eine mechanische, fabrikmäßige Irren-Anstalt. Unser Gebet, unser Wille bewahre jeden vor diesem Elend.

Die Frau v(on) Bülow wird, hoffe ich, diese ihre Lage und Verhältniß wie ein vom Himmel gesendetes Schicksal ansehn. Und Sie, Liebste, können gewiß dahin wirken, daß diese edle, gelinde Lösung eintrete: wobei auch nur die Kinder gewinnen können, die bei unglücklichen Eltern gewiß auch unglücklich werden müßten. Ich beschwöre Sie also, wenden Sie Geist, Kraft, Scharfsinn und Charakter an, das Elend von diesen lieben Menschen abzuwenden: denken Sie nicht, die Zeit würde heilen und herstellen – und bleiben Sie mir mit der Freundschaft und Liebe zugethan, die mich so viele Jahre hindurch wahrhaft beglückt hat.

Berlin Ihr treuster Freund
den 23. März 1845. L. Tieck.


Theure, geliebte Freundinn,

In welche große Schuld bin ich gegen Sie gerathen, da ich immer versäumte, auf Ihre schönen Briefe zu antworten. So geht das Leben hin, unter ewigen Vorwürfen, und man wird doch nicht besser. Krankheit, Schwäche, wahre Unfähigkeit, und unbedeutende nicht abzuweisende Geschäfte mögen mich einigermaßen entschuldigen. Denn meine Gesundheit ist leider seit dem Herbst 1842 so störbar, daß ich auf keine Stunde mit Sicherheit rechnen kann. Und nachher ist die Schwäche meist so groß, daß ich nicht einmal etwas Vernünftiges lesen kann. So löset sich die Lebenskraft nach und nach auf, um nachher in Unabhängigkeit freier zu wirken, oder sich nachher andren, vielleicht noch strengeren Bedingungen


  1. Tieck schrieb diesen Brief sieben Monate nach dem zweiten Schlaganfall (Oktober 1845), der seine Lebenskraft von neuem schwächte