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ich in jedem Briefe meines Freundes Raumer[1] Frage nach Ihnen, und die herzlichsten Wünsche für Ihre Genesung mit Ausdrücken verbunden, die seine Verehrung für Sie aussprechen. Wenn ich die Briefe mitgenommen hätte, würde ich Ihnen einige dieser Stellen abschreiben. Sie wollen es nicht hören, daß ich dem Umgang mit Ihnen und Ihren Gesprächen schon so vieles zu danken habe, aber ich muß doch die Wahrheit aussagen, daß es in der That so ist, und daß jede Stunde, in welcher Sie mir Ihre Gesellschaft gönnen, mich klüger und gedankenreicher gemacht hat. Es wäre auch wahre Unfähigkeit von meiner Seite, wenn dies nicht geschähe, indessen will ich in diesen Bekenntnissen nicht fortfahren, weil Sie diese Aufrichtigkeit vielleicht doch nur Schmeichelei schölten, um mir und sich gleiches Unrecht anzuthun.

Ich habe Ihnen Schlegels Werke[2], 10 B(ände), gesandt. Sie werden aus diesen geistreichen, genialen und eben so einseitigen als vielseitigen Schriften das herauslesen, was Ihnen angenehm und lehrreich ist. Der Mann ist vortreflich, aber doch nicht so sehr, daß man mit ihm lieber Unrecht als mit dem minder genialen Recht haben möchte. Es giebt eine Ueberreife in Früchten, die durch zu schnelles Reifen entsteht, und da schmeckt man ihnen die erste Unreife doch noch an. Vielleicht schweben Ihnen noch einige Stellen meiner Briefe aus Wien[3] vor: Religion soll niemals Partheisache[4] werden, aber vielen gilt eben dies nur für Begeistrung. Wie geht es Ihnen mit B(en) Jonson[5]? Wenn Sie viel von ihm lesen wollen, so haben Sie doch auf jeden Fall an Every Man in – and out of his Humour, the Fox, the Alchemist, und Bartholomew Fair genug; können Sie, was ich bezweifeln muß, alle Beziehungen herauslesen, so ist noch the Poetaster merkwürdig, wenn auch nicht groß, als Satire auf Shakspear und Marston. Von den Masken sind einige sehr interessant. Seine beiden Trauerspiele sind ganz schlecht.

Gern hätte ich Ihnen die Bogen von Solger[6] wieder gegeben, wenn ich sie nicht selber brauchte. Ich werde Ihnen nachher im Sommer vielleicht beide Bände hieher mitgeben können, denn auch der zweite ist schon weit vorgerückt, in welchem Ihnen der Aufsatz über das Verhältniß der Philosophie zur Religion, sowie ein zweiter über das Wesen der Philosophie vorzüglich interessant sein wird. Solgers Schriften sollten Sie eigentlich alle besitzen, denn ich müßte mich sehr irren, dieser Philosoph hat eben so sehr für Sie als für mich geschrieben. Sonst habe ich mich noch nie einem Philosophen auf Gnade und Ungnade ergeben mögen, wie ich es mit diesem herrlichen Mann konnte.

Wir sind alle ziemlich wohl, auch die Gräfinn, die mir die herzlichsten Grüße und Wünsche für Sie aufträgt. Mit der Gräfinn Bose[7] sprachen wir neulich lange von Ihnen.


  1. Der Geschichtschreiber Friedrich von Raumer hatte Tiecks erste Bekanntschaft 1810 in Ziebingen gemacht. Mit der Zeit standen beide in regem Briefwechsel. Später suchte Raumer den Freund gern im Frühling und Herbst in Dresden auf, und diese Besuche führten ihn auch mit Frau von Lüttichau zusammen. Vgl. Raumer, Lebenserinnerungen und Briefwechsel (2 Bände, Leipzig 1861); Köpke a. a. O. Band I S. XX, 368 f., II 65; Friesen a. a. O. I 21 ff.
  2. In der Beurteilung Friedrich Schlegels, dessen Werke 1822–1825 in Wien erschienen waren, hält Tieck sich von einseitiger Bewunderung frei. Gewiß wirkte bei ihm auch der Eindruck nach, den Schlegel nach Jahren der Trennung während eines mehrwöchigen Aufenthalts in Dresden im Herbst 1824 auf ihn gemacht hatte. Näheres bei Köpke a. a. O. II 26–28; Raumer a. a. O. II 169 f.
  3. Über die mit Herrn von Lüttichau unternommene Kunstreise, auf der die beiden sich zunächst in Wien aufhielten, siehe Köpke a. a. O. II 36–52 und Tieck, Kritische Schriften IV 1 ff.
  4. Ähnlich klagt Friedrich Schlegel in der von ihm 1820 begründeten Zeitschrift Concordia (S. 23): „Man behandle sogar die Religion, das Auge Gottes, als Parteiangelegenheit.“ (Fanny Imle, F. von Schlegels Entwickelung, Paderborn 1927, 254.)
  5. Ben Jonsons Dichtungen, seine Lustspiele, Komödiensatiren, Maskenspiele sowie die Trauerspiele Sejanus und Catilina (Dictionary of National Biography XXX 186–-191), hatte Tieck in den Jahren 1793–1817 wiederholt durchstudiert. In Anlehnung an den Volpone or the Fox dichtete er 1793 das Lustspiel „Herr von Fuchs“. Vgl. dazu Hermann Stanger, Der Einfluß Ben Jonsons auf L. Tieck (Studien zur vergleichenden Literaturgeschichte I, 1901, 182 ff. und II, 1902, 37 ff.); Harry Lüdeke, L. Tieck und das alte englische Theater in Deutsche Forschungen Heft 6, 1922, 26 ff.; Walther Fischer, Tieck als Ben Jonson-Philologe im Shakespeare-Jahrbuch LXII, 1926, 99–102 und 130 f.; Edwin H. Zeydel, L. Tieck and England (Princeton 1931) 8, 14 ff., 72 f. – Der neueren Forschung zufolge richtet sich der Poetaster nicht gegen Shakespeare und den zeitgenössischen Dramatiker John Marston (1575–1634), sondern gegen Thomas Dekker (1570 bis 1641). Vgl. Roscoe Addison Small, The stage quarrel between Ben Jonson and the socalled Poetasters = Forschungen zur englischen Sprache und Literatur Heft 1, 1899.
  6. Von Natur unphilosophisch, wurde Tieck durch die Lehre der Identität von Kunst, Philosophie, Mystik und Religion seines 1811 an die Berliner Universität als Professor der Philosophie berufenen Freundes Karl Solger besonders nachhaltig beeinflußt. Näheres darüber bei Köpke a. a. O. I 365 ff.; Erich Schönebeck, Tieck und Solger, phil. Diss. Berlin 1910; Tieck and Solger. The complete correspondence by Percy Matenko (Newyork, Berlin 1933) 1–74. Die große Vorliebe für die Gedankenwelt des am 20. Oktober 1819 gestorbenen Philosophen bestimmte Tieck, dessen nachgelassene Schriften und Briefe 1826 zusammen mit Raumer herauszugeben. Die beiden in Band II 1–53 und 54–199 enthaltenen Aufsätze sind betitelt: „Briefe, die Mißverständnisse über Philosophie und deren Verhältniß zur Religion betreffend“ und „Ueber die wahre Bedeutung und Bestimmung der Philosophie besonders in unserer Zeit“.
  7. Vermutlich die am 27. April 1795 geborene Gräfin Katharine Natalie Elisabeth Bose, Gemahlin des Königl. Sächsischen Hofmarschalls August Karl Graf Bose. Vgl. Geneal. Taschenbuch der deutschen gräflichen Häuser Jahrg. 3, 1827, 24.