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Vergangenes aus seiner Erinnerung hervorholt und, wohl das Wichtigste von allem, reiche Schätze seines Innenlebens vor uns enthüllt. Besonders schmerzlich empfindet Tieck in der neuen Heimat die räumliche Trennung von der geliebten Frau, namentlich seitdem er sich infolge der 1842 und 1845 erlittenen Schlaganfälle und weiterer Lähmungserscheinungen[1] mit zunehmendem hohen Alter immer schwächer fühlt, und für ihn damit jede Möglichkeit, eine Besuchsreise nach Dresden zu unternehmen, ausgeschlossen ist. Der einzige kurze Besuch, den die Freundin ihm in Berlin abstattet, als sie im Juni 1846 nach dem von ihrem Vater geerbten Gute Sellin reist[2], steigert die Sehnsucht nach ihr nur noch mehr. Immer wieder beseelt ihn der heiße, wenn auch vergebliche Wunsch, mit ihr, die sein größtes Vertrauen besitzt und sein Schaffen jederzeit mit reger Anteilnahme und feinem Verständnis verfolgt hat, wie vor Jahren gedankenreiche Gespräche zu führen.

Ein wahrer Trost für den schon in Dresden durch den Tod seiner Frau (gestorben 1837) und seiner heißgeliebten Tochter Dorothea (gestorben 1841) einsam gewordenen Dichter ist es, daß die Gräfin Henriette, die langjährige feingebildete Hausgenossin der Familie, auch in Berlin seinen Hausstand teilt und ihm wie bisher treu zur Seite steht. Ergreifend ist sein Schmerz, als sie ihm 1847 durch den Tod entrissen wird. Auch die Dresdener Freunde, besonders von Friesen, von Bülow und Graf Baudissin, fehlen Tieck sehr. Ihre Stelle vertritt in Berlin vor allem sein alter Freund Friedrich von Raumer, mit dem wiederum Frau von Lüttichau seit Jahren im Briefwechsel steht.

In Berlin soll Tieck den Generalintendanten bei Aufführungen griechischer und Shakespeare'scher Dramen beraten. Wenn er sich das mit seinen Bemerkungen versehene Dresdener Exemplar des Macbeth von Devrient schicken läßt, so benötigt er es wohl zur Vorbereitung einer Berliner Aufführung des Stücks. Auf Wunsch seines königlichen Freundes muß Tieck an Mangold, den Komponisten der 1846 in Darmstadt aufgeführten Oper Tannenhäuser, wegen Vornahme szenischer Änderungen für eine in Berlin geplante Aufführung schreiben. Richard Wagner, damals zweiter Kapellmeister der Dresdener Oper, der noch immer auf eine Aufführung seines Tannhäuser in Berlin wartet, sieht sich dadurch veranlaßt, bei seiner Gönnerin Frau von Lüttichau vorstellig zu werden.

Literarisch sich zu betätigen ist Tieck infolge der Nachwirkungen des schweren Schlaganfalls, der ihn im Spätherbst 1842 traf, nach seinem Eingeständnis erst im Frühjahr 1844 möglich. Vor allem liegt ihm daran, die Vorarbeiten für seine längst geplanten, aber nie geschriebenen Memoiren wieder aufzunehmen. Sein Briefwechsel, dessen Ordnung und Sichtung ihn beschäftigt, soll eine Art Vorrede dazu sein. Eine besondere Freude will er Frau von Lüttichau 1848 mit der Übersendung seiner Kritischen Schriften machen, die einiges ihr Unbekannte aus seiner Frühzeit enthalten.


  1. Siehe Köpke a. a. O. II 108; Carus, Lebenserinnerungen III 142, 214 f.
  2. Carus, Lebenserinnerungen III 221.