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freier, schöner Natur, fern vom Weltgewühl, geistig und körperlich gesunden kann und nur durch die Verlängerung des Urlaubs Heilung möglich ist, so darf ich Ew. Exzellenz nicht lange um Vorenthaltung seines erbetenen Urlaubs angehen! Möge er in zwiefacher Hinsicht gesunden. Da ich minder krank als Wagner bin, so ist es meine Pflicht, unter diesen Umständen von meiner eigenen Kur abzustehen und die Besserung meiner Lage einer günstigeren Zeit zu überlassen.“ Ein Aufsatz zum hundertsten Geburtstage Reissigers (von Brescius, Dresdner Anzeiger 1898) zitiert treffend ein Hans-Sachs-Wort aus den Meistersingern: „Hat man so je einen Feind bedacht?)

Es gehörte fast mit zu Reissigers Beruf seine Kollegen auf lange Zeiten zu vertreten (schon Morlacchi), so daß sich in den vierziger Jahren Folgen seiner früheren Überanstrengungen bemerkbar machten, und er trug sich, wie wir sehen werden, 1854 bereits mit Rücktrittsgedanken.

Was die Anekdoten über Reissiger anlangt, die die Wagnerbiographie so besonders ausnützt, so können wir darüber hingehen. Denn das hatte Reissiger wohl selbst nicht gedacht, daß ihm harmlose Witzworte, zu denen er immer aufgelegt war – manchmal ging im Orchester die Rede um: der Kapellmeister hat wieder Anekdotendrücken – in gehässiger Weise ausgelegt werden würden. (Wegen einer noch zu besuchenden Geburtstagsfeier hätte Reissiger z. B. das Tempo in der Stummen von Portici" etwas schneller genommen.) Die Anekdote spinnt sich ja immer um bedeutende Personen, da die Menge zu gern etwas „Menschliches – Allzumenschliches“ von ihnen erhascht und dann vergrößert. Nach Wagners Flucht von Dresden sollen zwischen Reissiger und Wagner noch mehrere freundliche Briefe gewechselt worden sein, die aber nicht zu erlangen waren[1]. Reissiger war nach allem Gesagten kein Antiwagnerianer, weder persönlich noch künstlerisch. Nur der Undank, mit dem ihn Wagner und dessen nähere Freunde belohnten, ließ ihn dann gleichgültiger, wenn auch nicht zum ausgesprochenen Gegner werden. Das Schlimmste, was wir in dieser Beziehung von Reissiger gelesen haben, ist eine Stelle in einem Briefe an Böhme[2] aus dem Jahre 1854, welche lautet: „Mich kümmert weder ihr Erfolg, noch ihre Niederlage“, womit die Wagner-Partei gemeint ist. Wagner, der sich auch mit anderen Künstlern überwarf (Schumann, F. Hiller, Semper, Lipinski, selbst zeitweilig Liszt und Bülow), war wie ein Hecht in einen Karpfenteich in Dresden hineingeraten. Als er wegging, traten wieder ruhigere Verhältnisse ein. Während Wagners Dresdner Zeit war die Oper keineswegs auf der Höhe, auf der sie Ende der dreißiger Jahre stand, geblieben. Der Spielplan war immerhin noch vielseitiger, als er z. B. heute gestaltet werden kann; aber die Zersplitterung in der obersten Leitung und fortgesetzte Besetzungsschwierigkeiten, die durch einen fühlbaren Sängermangel an allen Theatern entstanden waren, machten sich denn auch in Dresden bemerkbar[3].


  1. Katalog 1889 des Antiquariates Liepmannsohn verzeichnet ein freundschaftliches Schreiben zwischen Wagner und R., ohne daß es möglich wäre, seinen heutigen Ort zu erfahren. – Auf meine Anfrage in Bayreuth wurde nur mitgeteilt, daß das Archiv nichts R. Betreffendes enthalte. Einige Zeit später stellte ein mir bekannter Besucher, welcher Zutritt erhalten hatte, fest, daß ein R.-Brief vorhanden ist.
  2. Unveröffentlichtes Manuskript in der Kgl. Landesbibliothek Dresden (R.-Briefe).
  3. Besonders fehlten Spieltenöre. – Vgl. auch A. M. Z. 1846 S. 487.