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die Gehässigkeit nicht erspart bleiben. Wagner, der, wie alle Genies, nicht in die Fesseln eines Amtes paßte (Hofkapellmeister), fand in seiner Dresdner Betätigung keine Befriedigung. Aber er suchte natürlich nicht den Grund in sich selbst, sondern mußte einen Ableiter für seine Miẞstimmung finden. Da war der von Herzen gute Reissiger, der alles andere als eine Kampfnatur war, gerade der rechte. Karl Gutzkow, dessen „Rückblicke auf mein Leben“ sonst nicht immer Zuverlässiges bringen, hat in dem einen Reissiger betreffenden Punkte vollständig recht: „An Reissiger ist wirklich eins zu bewundern: Nachfolger und Verehrer Webers, war er ein hochgebildeter Mann, vielseitiger, strenger Theoretiker, Kirchenkomponist, heimisch in Gluck, Mozart, Haydn, Beethoven wie einer, und nun mußte er den ersten Anprall dessen aushalten, was wir später als „Musik der Zukunft“ mit ihren Prätensionen haben kennen lernen! Das Chaos von Ideen, das jetzt jene Bretter in Bayreuth aufschlägt, um die in Musiküberschwemmung versetzten Lehrbücher der nordischen Mythologie genießbar zu machen, stürmte in seinem ersten vulkanischen Brodeln und Sprühen unmittelbar auf diesen wackeren, in seinen Formen immer liebenswürdigen Biedermann ein.“

Wäre Reissiger nicht in dauerndem Verhältnis zu Wagner gewesen, sondern nur, wie etwa Spohr, gelegentlich einer Aufführung eines seiner Werke (Holländer) einmal mit ihm zusammengekommen, so hätte er, der Wagner viel größeren Dienst geleistet hatte (Rienzi-Annahme und Befürwortung der Anstellung), von diesem vor der Nachwelt dasselbe günstige

Urteil erhalten wie ein Spohr. Aber wer dauernd im Umkreise des Tyrannen zu sein gezwungen war, also das Meiste zu leiden hatte, dem wurde der größte Undank zuteil[1]. Wagner ging die Erkenntnis ab, welcher Liszt durch Änderung des Wortes: „noblesse oblige“ in: „génie oblige“ Ausdruck verlieh, und wonach Liszt so edel handelte. Allerdings ist der Fall des rücksichtslosen Genies die Regel und der Liszts die ideale Ausnahme. Reissigers Lebenskunst ließ ihn auch dann noch, nachdem Wagners Wesen immer schroffer wurde, ruhig bleiben und alles für sich verwinden. Aber mit Wagner war eben ein echt kollegiales Verhältnis, wie das mit Morlacchi und Rastrelli, doch nicht möglich[2]. Trotzdem läßt Reissiger sich das Wohlwollen für Wagner nicht trüben, wir lesen in einem Briefe an den Verleger Böhme (Peters) 1847: „. . . ich blieb daher noch acht Tage in Berlin und projektierte noch einige Tage in Dessau und Leipzig angenehm zu verleben, allein mein Kollege Wagner bat mich flehentlich, zurückzukehren, weil er seinen „Rienzi“ in Berlin einstudieren wolle. Da mußte nun der arme Reissiger hübsch kollegialisch verfahren und alle seine Pläne aufgeben[3]“. Wagner genoß auch oft monatelangen Urlaub, um Ruhe für sein Schaffen zu finden, währenddessen ihn Reissiger, der diese Vergünstigung nicht in dem Maße erhielt, geduldig vertrat. Am 4. Juli 1848 schreibt Reissiger an Lüttichau, welcher Wagner den Urlaub verweigert hatte[4]: „Wenn nun mein Kollege, wie er sich ausdrückt, nur in Gottes


  1. Vgl. was der Volksschriftsteller Nieritz in seiner Selbstbiographie (Leipzig 1872 S. 368) über seine Eindrücke von dem Wesen Wagners gelegentlich eines Besuches bei ihm schreibt.
  2. A. M. Z. 1842, Aufsatz aus Zeitschrift Komet, S. 918.
  3. Original im Wagnermuseum zu Eisenach. Abgedruckt bei Glasenapp.
  4. Unveröffentlichtes Manuskript im Hoftheaterarchiv, Dresden.