Seite:Heft26VereinGeschichteDresden1918.pdf/93

Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.

durch welche er bei allen, vom entfernten Bekannten bis zum geringsten Untergebenen, geschätzt war, was alle Zeugnisse belegen. Dabei zeichnete ihn zugleich eine moderne Allgemeinbildung aus. Als reproduzierender Künstler ebenfalls nicht; denn dagegen spricht sein Eintreten für unbekannte, moderne Komponisten, was auch Wagner an sich selbst erfahren hatte. Als produzierender Künstler strebte er auch nach vorwärt; er schrieb selbst auf ein Albumblatt[1]: „Die Kunst leidet keinen Stillstand.“ Nur blieb hier hinter dem Wollen – eine Tragik für ihn – die Kraft der Begabung zurück, so daß er über einen Klassizismus nicht hinauskam. Wer aber kann ihm das zum Vorwurf machen? Programmouvertüren, Lieder ohne Worte belegen das Streben nach Anschluß an die neue Zeit. Den Neudeutschen aber war er sogar sehr freundlich gesinnt, was wir aus folgendem Briefe an seinen Schüler Raff (Sohn genannt) deutlich entnehmen können[2]: „Daß in Weimar durch Liszt ein reges Musikleben begonnen hat und derselbe viele junge Virtuosen hingezogen, freut mich absonderlich. Papa meint, wenn nur durch die Herren Leipziger nicht auch die exklusive Partei, die nur Mendelssohn und Schumann und ähnliche Geister verdauen kann, nach Weimar transloziert wird?! Ob die Herren auch die Schere zur Phantasiebeschneidung und zum neuromantischen Formengewühl und die Schnürbrust zur Bewegung des Herzens und seiner melodiösen Ergüsse mitgebracht haben?“ Weiter unten heißt es: „Grüße er Liszt von mir aufs Hochachtungsvollste und Freundschaftlichste.“ Und hätte Reissiger, wenn er sich nicht innerlich zur neuen Kunst hingezogen fühlte, etwa gewagt, im Jahre 1852, drei Jahre nach Wagners Flucht von Dresden, den Tannhäuser, der bei der Uraufführung 1845 nicht einmal durchgeschlagen hatte, wieder einzustudieren, in einer Zeit, in welcher man noch nicht wissen konnte, wie der Versuch abläuft. Tatsache war ja auch, daß „Hof und Adel sich demonstrativ fernhielten und in regierungstreuen Lokalblättern eine heftige Polemik gegen die landesverräterische Oper anhob.“ (Glasenapp II, 439.) Reissiger gab damit einen Beweis für die Bewahrung seiner künstlerischen Freiheit und auch Neidlosigkeit, denn Neid vermutete Wagner immer bei Reissiger. Wir haben aber die Empfindung, als wäre die andere Partei nicht ganz neidlos gewesen. Reissiger wurde um seine Stellung und sein Ansehen als Komponist beneidet. Er hatte es mit seiner kleinen Kunst leichter, als Komponist Erfolge zu erlangen, während Wagner mit seiner großen Kunst so schwer um Erfolge ringen mußte. Dazu kamen gerade in der Dresdner Zeit offensichtliche Mißerfolge Wagners als Dirigent. Abgesehen von dem allerhöchsten Tadel wegen einer miẞlungenen Meßaufführung unter Wagner, der dem Dirigenten mitgeteilt werden mußte (1844)[3], ferner von den Kritiken an Wagners Temponahme in Mozartschen Werken[4], so gibt doch der eine Fall der Tempoverzerrung in den Hugenotten, welche noch nicht lange vorher unter Meyerbeers persönlicher Anleitung einstudiert waren, zu denken. Wagner war


  1. Manuskript in der Kgl. Landesbibliothek Dresden (R.-Briefe).
  2. Unveröffentlichte Raffiana der Hof- und Staatsbibliothek München. (Ohne Datum, aber ca. 1851.)
  3. Mappe XIIr, Akten im Hoftheaterarchiv zu Dresden.
  4. Wir bemerken dazu nur, daß Wagner selbst von gemeinen Repertoiraufführungen Mozartscher Werke unter seiner notgedrungenen Direktion spricht (Autobiographie II, 324).