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Und Ehre, dem Ehre gebühret, wir dürfen auch des Intendanten v. Lüttichau nicht vergessen, der immer wieder, wenn auch manchmal etwas zögernd, dem musikalischen Leiter zur Erreichung des Zieles unterstützend zur Seite stand.

In dieser erlesenen Kunststätte mit ihren reichen Mitteln war nun von einem ehrlichen deutschen Künstler, Reissiger, der Boden bereitet für die glanzvolle Einführung des größten deutschen Künstlers des 19. Jahrhunderts, Richard Wagners. Schulden wir nicht Reissiger Dank, daß er das Instrument geschaffen, auf dem dann Wagner spielte? Wie aber konnte Wagner, nachdem er selbst erst Dank empfunden, dieser Tat später so uneingedenk bleiben? Ihn selbst zu entschuldigen, wird allenfalls gelingen, nicht aber die Mehrzahl der Biographen Wagners, die in blinder Verehrung des „Meisters“ das Urteil über dessen Umwelt, und damit auch Reissiger, vollständig am „Meister“ orientierten und diese daher einseitig verkannt hat. Gedenken wir gleich des ersten mit Dresden zusammenhängenden Ereignisses, der Annahme des Rienzi. Was wird da nicht alles von einer Verzögerungspolitik der Dresdner Intendanz, womöglich sogar Reissigers, geredet. Untersuchen wir aber die Sache, so finden wir, daß nur ein ungünstiges Zusammentreffen von widrigen Umständen die Schuld trägt, wenn der infolge seiner Notlage in Paris die Zeitdauer selbstverständlich härter empfindende Wagner etwas in Unruhe geriet.

Erstens schickt Wagner die Partitur mit Textbuch nach Dresden. Bei der Ankunft fehlt aber auf unerklärliche Weise das letztere. Hofrat Winkler teilt dies Wagner nach Paris mit, denn ohne das Textbuch zu kennen, kann natürlich keine Entscheidung getroffen werden. Wagner entschuldigt sich und schickt nunmehr das Textbuch, wobei wir immer auch die lange Postdauer von ca. zehn Tagen zwischen Paris und Dresden mit in Betracht ziehen müssen. Nun aber machen sich kleine Änderungen am Text nötig, die Wagner auch sofort erlaubt. Das Schlimmste aber war, daß Lüttichau über einen Monat lang schwer erkrankte (Wagner schreibt selbst davon), so daß alle endgültigen Entscheidungen so lange unterbrochen werden mußten. Reissiger hatte aber schon vor Lüttichaus Erkrankung sein Urteil über Rienzi abgegeben und auch Wagner mitgeteilt (vergl. Brief Wagners an Lüttichau vom 4. Juni 1841, worin erst von Meyerbeers Fürsprache die Rede ist, es dann aber heißt: „Dies, verbunden mit dem Beweis von herzlicher Gewogenheit, dem mir Herr Kapellmeister Reissiger in dem Briefe gibt, in welchem er seine Zufriedenheit mit der ihm zur Durchsicht zugestellten Partitur meiner Oper gegen mich ebenso schmeichelhaft als bieder ausspricht[1].“ Auf diesen Brief, in welchem bereits von Wagner selbst Reissigers Urteil mitgeteilt wird, ist von irgendeiner Hand die bekannte Randbemerkung gemacht worden: „Die Partitur wie Textbuch hat Herr Kapellmeister Reissiger“, welche die Wagner-Biographie so ausgelegt hat,


  1. Vgl. auch Wagners Brief vom 8. April 1841 (veröffentlicht in der Frankfurter Zeitung, 26. September 1899), in welchem Wagner von dem erquickenden, liebenswürdigen Entgegenkommen R.s spricht und zugleich von dessen Interesse am Rienzi Zeugnis gibt, indem er mitteilt, daß R., da ihm die Partitur „keineswegs offiziell zugestellt worden ist“, sich dieselbe „vielmehr auf dem Privatwege von Mad. Devrient verschafft hat“. Ferner enthält bereits dieser Brief die Mitteilung von R.s zustimmendem Urteil über Rienzi.