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vielseitiger Fachbildung auch große allgemeine Vorbildung besaßen. Er hatte z. B. auch in den anderen Künsten durch seinen früheren Umgang mit Thorwaldsen u. a. in Rom einige Erfahrung. Dazu kam, daß er mit seinem sonnigen Humor – auch in dem tieferen Sinne einer optimistischen Weltanschauung – ein liebenswürdiger Gesellschafter war. In der Gesellschaft Albina[1], einer Vereinigung von Künstlern und Gelehrten, ließ er öfters seine schöne Baẞstimme erklingen. In den Salons der Dresdner Herrschaften, der Bankiers Oppenheim und v. Kaskel und vor allem des Majors Serre, war Reissiger musikalischer spiritus rector. Die Töchter Kaskels[2] waren besonders musikalisch. Ihnen widmete Reissiger auch einige Gesänge. Der bekannteste Dresdner Salon war der des Majors Serre. Serre wurde infolge seiner Tätigkeit für die Schiller-Lotterie und die Tiedge-Stiftung in ganz Deutschland genannt. Auf seinem Landsitze in Maxen bei Dresden versammelten sich im Sommer, in der Stadtwohnung im Winter alle in Dresden ansässigen oder auch nur auf der Durchreise hier weilenden führenden Geister. Rich. Wagner verkehrte z. B. später auch bei Serres[3]. Das Album, in welches sich jeder Gast einzutragen hatte, ist vor Jahren einmal im Autographenhandel aufgetaucht, während der Briefwechsel zwischen Serre und seinen Besuchern leider nach einer testamentarischen Bestimmung Serres vernichtet wurde.

In diesen Salons erfuhren viele Kammermusikwerke Reissigers ihre Aufführung, und wir müssen in der Beurteilung der Kompositionen sehr wohl in Betracht ziehen, daß ein Teil derselben, nicht alle, gleich für die Aufführung in den geselligen Kreisen berechnet waren, das heißt: der Aufwand an motivisch-kontrapunktischer Arbeit nicht zu groß sein durfte, um das Verständnis nicht allzusehr zu erschweren. Reissiger konnte ja bei seiner soliden musikalischen Durchbildung auch wirklich „gearbeitete“ Werke liefern, wie manches Beispiel zeigt, aber sie wären hier, wo es mehr auf eine gesellige Unterhaltung ankam, gar nicht so am Platze gewesen. Das musikalische Leben der geschlossenen Zirkel führt uns nun überhaupt zu der Frage des Dresdner Konzertlebens der Reissigerzeit. Doch ehe wir davon sprechen, sei hier, da es in die dreißiger Jahre gehört, noch ein Vorfall aus Reissigers Leben berichtet, welcher ihm großen Verdruß bereitete.

Es bestand in Dresden eine Kommunalgarde, in welcher auch die beiden Hofkapellmeister Morlacchi und Reissiger mit exerzieren mußten. Die ersten Jahre schien es Reissiger trotz seiner reichen Amtstätigkeit zu ertragen. Er hatte sogar ein überall in Dresden gesungenes Kommunalgardenlied (gedichtet von Tiedge) komponiert. 1835 aber machte sich bei ihm, wie es ja dem kräftigsten Menschen bei übergroßer Anspannung ergeht, eine körperliche Erschöpfung fühlbar, wozu noch eine durch den Exerzierdienst hervorgerufene Überanstrengung der rechten Hand, welche unter Umständen Berufsstörung veranlassen konnte, ihn ernstlich bekümmerte. Er hatte bereits zwei erfolglose Schreiben wegen Entlassung eingereicht. Im dritten Gesuch heißt es


  1. Sie tagte in dem Gebäude, in welchem heute „Meinholds Säle“ sind.
  2. Leider ist heute in der Familie v. Kaskel keine Erinnerung mehr an R. erhalten, wie Herr Komponist Prof. Frh. v. Kaskel in München, sowie Frau Baronin v. Kaskel in Dresden freundlichst mitteilten.
  3. Glasenapp II, 18.