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Bären und zuletzt die Schweizer[1]. Das ganze Haus hier ist musikalisch, und ein Glück für mich ist’s, daß Mr. Trouvé ein Wiener Fortepiano hat. Madame singt nämlich und bildet sich viel darauf ein, vor fünfzehn Jahren drei Lektionen bei Brizzi[2] gehabt zu haben, auch hat sich Crescent[3], der gewöhnlich in diesem Hause aẞ, den Kaffee bei ihr gefallen lassen. Die Tochter spielt auch ein bißchen und der cameriere sopraintendente di casa schreit den ganzen Tag Arien und Duette, Fragmente im Hause herum – ja selbst die Köchin will nicht zurückbleiben. Ein Mensch, wie ich bin, wird ein professore di musica genannt, weil ich den guten Leuten etwas vorgespielt habe. Aber wird der Maestro und professore di musica nicht gewaltig bezahlen müssen? Ich fürchte, ich fürchte! Heute hatte ich das Glück, den alten, berühmten professore di musica, Abbate Mattei[4], Schüler von Martini, kennen zu lernen und die Bibliotheca musicale oder das berühmte Archiv in Liceo musicale filharmonico zu sehen, den Sitz der Academia filharmonica. Mattei ist ein schwacher Greis. Da er im Begriff war auszugehen, als ich zu ihm kam, so bat er mich, ihm eine andere Zeit zu schenken. Ich freue mich sehr, ihn recht kennen zu lernen, denn Mattei in Bologna, Asioli in Corregio[5] und Zingarelli[6] in Neapel sind die einzigen, gründlichen, würdigen Musiker, welche Italien noch besitzt. Ich verdanke diese Bekanntschaft dem Marquis Sampièr, einem wütenden Komponisten im Rossinischen Stil, der schon eine Menge Opern auf die Bühne brachte, weil er die Unternehmer bestechen konnte, und der nur den Ärger hatte, seine Dinge auszischen zu sehen. In Mailand hatte ich diesen Herrn durch mein allgemein anerkanntes, perfektes Akkompagnieren aus dem Sattel gehoben – er vertraute mir daher, er schriebe wieder eine Oper, er müßte sich durch sein Akkompagnieren die ersten Leute zu gewinnen suchen und ich möchte ihm also den Platz am Klavier überlassen. Ich ließ ihn sogar die Canzi akkompagnieren, und so gewann ich mir den Nachahmer des Samiel Rossini. Dieser Rossini, dieser wirklich talentvolle Mensch, ist dennoch derjenige, dem Italien seinen ganzen musikalischen Fall verdankt, weil er uns nur kitzelt und nirgends wacker und tüchtig zugreift!

In der Bibliotheca musicale führte mich der alte, brave Archivar Barbieri freundlich umher und zeigte mir alle Seltenheiten, die hier in großer Menge vorhanden sind, und die man zum Teil dem rastlosen Sammeln und der großen Ordnungsliebe des Barbieri zu danken hat. Aus dem Konzertsaal


  1. Bekanntlich gab auch Spohr über die Schweizer als Musiker ein sehr absprechendes Urteil. Richard Wagners Aufenthalt in der Schweiz wird der Musik zu gute gekommen sein, denn heute ist der Schweizer, selbst im Kriege, sehr empfänglich für aus Deutschland und Frankreich eingeführte Musik.
  2. 1765 – 1837 bedeutender ital. Tenor, später erfolgreicher Gesanglehrer.
  3. Crescentini, 1762 – 1846, einer der letzten und bedeutendsten ital. Kastraten (Sopranisten). Er war unter anderem von Napoleon I. 1808 nach Paris gezogen worden. R. lernte ihn in Neapel persönlich kennen.
  4. 1750 – 1825 berühmter Theoretiker; Rossini, Donizetti waren u. a. seine Schüler. R. lernte ihn im März 1825 kennen, im Mai starb Mattei.
  5. 1769 – 1832 ital. Opern- und Kirchenkomponist sowie Theoretiker, 1808 bis 1813 Direktor des Mailänder Konservatoriums.
  6. 1752 – 1837 äußerst fruchtbarer ital. Opern- und Kirchenkompenist. Der Dresdner Morlacchi war sein Schüler.