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schreibt mit Gefühl, er schreibt fürs Herz, hat guten Gesang; sein Gesang, tief in seinem Innersten empfunden, spricht angenehm die Herzen der Zuhörer an – fehlt ihm jedoch der Gesang, so mag er die größten Künsteleien machen, viel Kenntnis, Phantasie, Erfindung zeigen, mag gut und effektvoll instrumentieren und gut deklamieren, aber er wird kalt lassen. Das Nämliche erfährt ein Geiger und ein Bläser, wenn er ohne Gefühl spielt und keinen Gesang hat. Im Gesange liegt die größte Kraft der Musik. In unserm Innersten erzeugt, quillt er als die belebteste Sprache dessen, was wir innerlich fühlen, hervor. Und wie wünschenswert wäre es, daß sowohl die Musiker als die Zuhörer sich ruhig und mit prüfendem Urteil und reinem Gefühl auf diesen Standpunkt stellten, dann würde es nicht mehr möglich sein, einer Musik Beifall zu zollen, die es mit nichts als dem äußeren Sinn zu tun hat; man würde eine Musik nur mit steter Beziehung auf das Innere hören und geben. Das leere Wesen, der geistlose und herzlose Klingklang müßten von solchen Instituten, wo Knaben und Mädchen gebildet werden, um dereinst durch ihr Talent den Ton anzugeben und aufs Publikum zu wirken, völlig verbannt sein.“

Über die Mailänder Musikzustände heißt es sodann an späterer Stelle: „Überhaupt ist die Musik in Mailand (und von der Capitale aufs ganze Königreich zu schließen) höchst bedauernswürdig, und ich habe aus den Besuche der Kirchen, Opern und Gesellschaften aller Art gesehen, wie tief das berühmte Italien gefallen ist. – Kirchenmusik findet man sehr wenig, und ist man einmal so glücklich, so bekömmt man höchstens etwas alte, gute Musik, aber mit Neuerem geflickt, entstellt und profaniert.“ Die neueste Kirchenmusik aber bezeichnet Reissiger als „ein Gemisch moderner Opern-, Militär- und Tanzmusik.“ „Die Organisten hören in der Oper, sobald eine neue Oper oder Ballett gegeben wird, so außerordentlich aufmerksam zu, daß man gewiß das am meisten applaudierte Stück nächsten Morgen schon in der Kirche hört. O warum gibt es darüber keine Inspektion?

Die Oper (das berühmte Teatro della Scala) ist unter der Mittelmäßigkeit, und ist erst so erstaunlich gefallen, seit es nicht mehr unter dem Gouvernement steht. An ein gutes Ensemble, an Fleiß im Einstudieren ist nicht mehr zu denken. Die Sängerinnen, die wirklich einen Ruf haben, wie Madame Feron[1], M. Garcia[1] und M. Favelli, sind, mit Ausnahme der ersten, die jetzt, weil sie ihre Niederkunft erwartet und also nicht viel singen darf, so liederlich und nehmen sich so wenig in acht, daß öfters in diesem großen, berühmten Theater gar keine Oper sein kann und man sich mit einer niedrigen Farce und Ballett begnügen muß, und das Publikum amüsiert sich bei diesem tollen Leben der Sängerinnen, denn es freut sich, die armen Sängerinnen auspfeifen zu können.“ In einem Briefe schreibt er dann: „Das Orchester ist sehr stark – dem ungeheuren Hause angemessen, aber welcher Unterschied mit dem Pariser, Violinen und Bässe gut, Blasinstrumente niederträchtig, nicht einmal reine Stimmung. Schon in Turin fand ich die Blasinstrumente schlecht, vorzüglich Klarinetten, Oboen und Hörner. Ebenso schlecht ist es hier. Geiger sind ausgezeichnet, aber sobald die famosen (?)


  1. a b In einem anderen Briefe schreibt R.:Beide kenne ich schon. Erstere ist schon gealtert, aber ihre Semitonen sind doch sehr schön. Die zweite, eine Spanierin, sehr jung, schön, mit einer frischen, starken Stimme, ist die Zierde des Theaters.