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Ehe aber Reissiger München verließ, schrieb ihm Winter folgende Zeilen (bisher unveröffentlicht):

„Endesunterzeichneter macht es sich zur angenehmen Pflicht, dem Herrn C. G. Reissiger, Tonkünstler aus Leipzig, das Zeugnis zu geben, daß derselbe während seines Aufenthalts in München mit Fleiß und Beharrlichkeit der Komposition oblag und in dem Unterrichte, den er hierin zur gänzlichen Ausbildung seiner Talente und Kenntnisse von mir erhielt, Beweise von Gründlichkeit im Kontrapunkt und ein in seinen Jahren höchst seltenes tiefes Studium der Musik an den Tag legte; seine Kompositionen im strengen und galanten Stil verraten eine reiche, lebhafte Phantasie, tiefen Geist, und zeichnen sich sowohl hierin als in der ihnen eigenen Charakteristik besonders aus. Auch wurde ihnen allgemeiner Beifall zuteil, und seine Oper Didone kann besonders als ein Meisterstück gelten. Herr Reissiger besitzt außerdem treffliche Kenntnisse im Gesang, einen raschen Überblick der Partituren. Überdies vereinigt er mit diesen seltenen Eigenschaften ein brillantes, meisterhaftes Spiel auf dem Piano, und wird durch seine musterhafte moralische Aufführung jeder Stelle mit Würde und Verdienst vorstehen.“

Außerdem können wir noch ein anderes Zeugnis aus München bringen, und zwar von dem Freunde C. M. v. Webers, Johann Nepomuk Poissl[1], welcher bald (1823) Hoftheater-Intendant wurde. Es lautet (bisher unveröffentlicht):

„Nachdem der Tonkünstler Herr C. G. Reissiger während seines neunmonatlichen Aufenthalts dahier in München mir Unterzeichnetem hinreichend Gelegenheit gegeben hat, den ganzen Umfang seiner musikalischen Kenntnisse, sowie auch seiner ästhetischen und artistischen Bildung im allgemeinen vollkommen kennen zu lernen, und glaubt, daß eine freimütige Erklärung meiner von demselben gefaßten Meinungen ihm zur Empfehlung dienen könnte, so fühle ich mich aus Liebe zur Wahrheit und Achtung für jedes wirkliche Talent verpflichtet, demselben hiermit folgendes aus meiner festen Überzeugung hervorgehendes Zeugnis auszustellen: Herr Reissiger besitzt neben ebenso tiefen als ausgebreiteten Kenntnissen in der gesamten Theorie der Musik, eine bis zur Fertigkeit gebrachte Übung im Spiel, und hat von der Vorsehung soviel Genialität erhalten und durch anhaltendes Studium so viele Erfahrungen erworben und einen solchen Grad der Geschmacksbildung erreicht, daß seine zu meiner Kenntnis gekommenen Werke im galanten Stil ebenso vorteilhaft für die großen Talente ihres Verfassers zeugen, als jene im strengen Stil. Belege dieses Zeugnisses sind für den strengen Stil eine große, solenne Missa, für den galanten Stil die italienische Oper Dido, beides Werke, die meines Erachtens jedem bereits im besten Kredit stehenden Komponisten Ehre machen würden. Außerdem besitzt Herr Reissiger die Fähigkeiten, jedes Sängerchor und Orchester mit Präzision und Gewandtheit zu dirigieren, und vereinigt mit einer sehr bedeutenden Gesangskunde und Virtuosität als Klavierspieler eine seltene Fertigkeit im Lesen und Vortragen von Partituren, so wie er sich auch die so sehr


  1. Poissl ist bekannt als deutscher Opernkomponist der Übergangszeit zwischen Mozart und Weber. Er schrieb schon vor der „Euryanthe“ durchkomponierte Opern und hatte wie Weber einst Danzis Schule genossen. Vgl. Reipschläger, Schubaur, Danzi und Poissl. (Rostocker Dissertation. 1911.)