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kam gerade nach Wien, als im musikdramatischen Schaffen der Kampf zwischen Deutsch und Italienisch am heftigsten tobte[1]. Der Rossinitaumel der Wiener am Anfang der zwanziger Jahre ist ja bekannt. Barbier, Tancred, Diebische Elster, Zelmira wurden maßlos bejubelt, daneben war der Erfolg der biederen Singspiele und Opern der Deutschen Weigl, Gyrowetz, Umlauf, die Reissiger persönlich kennen lernte, allerdings klein. Weigls „Schweizer-Familie“ war noch das erfolgreichste dieser Werke. Aber die Deutschen arbeiteten langsam, doch sicher vorwärts. Der Dichter Holtei, die Kritiker Mosel und Kanne traten für die deutsche Oper ein, und ein Sieg, wie er seit Mozart nicht dagewesen, sollte bald kommen. Am 3. November 1821 wurde der „Freischütz“ zum ersten Male in Wien gegeben und fand begeisterte Aufnahme. Bald darauf (20. Dezember 1821) hatte noch eine deutsche, wenn auch etwas italienisierende, romantische Oper Erfolg: Spohrs „Zemire und Azor“. Das alles erlebte der junge Reissiger persönlich, und es verfehlte natürlich auch nicht seine Wirkung auf ihn, denn mutig sehen wir ihn seine erste Oper „Das Rockenweibchen“ komponieren. Wenn auch das Werk selbst wegen des Textes die Zensur nicht passierte – bei den berüchtigten Zensurverhältnissen der Ära Metternich nichts Ungewohntes –, also eine Aufführung nicht zustande kam, so führte doch die erfolgreiche Ouvertüre[2] den jungen Komponisten sehr günstig beim Theater ein. Er erhielt freien Eintritt in die K. K. Hoftheater. Unter den weiteren Ouvertüren, die er für dieselben schrieb, befindet sich auch eine Schauspielouvertüre „Käthchen von Heilbronn“. Wie schlug ihm das Herz, als er von dem berühmten Hoforchester, in welchem Mayseder, der Schüler Schuppanzighs, und Böhm, der Schüler Rodes, die führenden Geiger waren, seine Werke gespielt hörte. Die Hofoper war ferner schon immer ein Mittelpunkt künstlerischer Gesangspflege gewesen, und Reissiger lernte die Sänger persönlich kennen. Für Caroline Unger, die gefeierte Bühnensängerin und Verlobte Nik. Lenaus, schrieb er in Wien die „Geheimen Schmerzen“. Ferner gingen gerade damals am Wiener Gesangshimmel die Sterne Wilhelmine Schröder und Henriette Sontag auf. Das Rollen echten Theaterblutes konnte Reissiger hier fühlen, besonders nachdem nach I. v. Mosels und Graf Dietrichsteins Direktion der Theatermann Barbaja (1. Januar 1822) das Hoftheater pachtete. Von den Vorstadttheatern Wiens konnte Reissiger besonders im „Theater an der Wien“ lehrreiche Studien machen. Dort regierte J. v. Seyfried[3], und große Sänger, wie Haizinger und Spitzeder glänzten daselbst. Ferner waren gerade um diese Zeit die Ballettaufführungen dieses Theaters in gutem Rufe (Horscheltsches Kinderballett).

Daneben setzte Reissiger aber auch die theoretischen Studien fort, und zwar bei Salieri, dem Italiener, der als Opern- und Kirchenkomponist trotz seiner Abstammung später Glucksche Prinzipien vertrat und von Gluck selbst begünstigt worden war. Beethoven und Schubert waren schon seine Schüler gewesen. Die praktischen Studien im Pianofortespiel hat


  1. Er selbst sollte ja später in seinem Amte in Dresden Gelegenheit haben, aktiv in den Kampf einzugreifen und ihn glücklich auszugleichen.
  2. In einem Konzerte wurde sie sogar da capo verlangt.
  3. Von Seyfried, der auch Kirchenkomponist war, hatte R. schon im Thomanerchor Messenteile und Psalmen gesungen.