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ein Richterkollegium irren kann, indem sie F. Lachner den ersten Preis erteilten. Reissiger, der sich das erste Mal als Sinfoniker versuchte, wird auch nicht die beste Leistung gebracht haben (vergl. aber das Urteil Löwes im übernächsten Kapitel), aber der gediegene Satz und die fließende Melodik verhalfen der Sinfonie in ca. zehn deutschen Städten (Berlin, Halle, Leipzig, Potsdam, Erfurt, Wien u. a., sogar auf dem Quedlinburger Gesangsfest 1838) zu erfolgreicher Aufführung. Wir verzeichnen von den Kritiken nur das, was Schumann (Ges. Schriften 2. Bd.) über die Leipziger Gewandhausaufführung sagt: „Bei weitem aushaltender an innerer Kraft als die Lachnersche, kürzer, anspruchsloser, schlägt sie vielleicht noch zu sehr in das Gebiet der Ouvertüre hinüber. Da der stattliche Kapellmeister selbst dirigierte, so war die freudige Aufnahme eine natürliche und ganz an der rechten Stelle.“ An anderm Orte nennt Schumann die Sinfonie wegen ihrer kleinen, niedlichen Form eine Sonate für Orchester.

Wir haben nun nur noch der Klaviermusik Reissigers zu gedenken. Von ihr haben mir auch nur wenige Sachen vorgelegen, aber man konnte schon bemerken, daß Reissiger ein Kind der Virtuosenzeit (Weber), des von Dussek eingeleiteten Zeitalters der Brillanz war, noch lange nicht so tiefstehend aber, wie etwa ein Herz und Hünten. Mit seinem in Wien komponierten Klavierkonzert hatte er, wie wir wissen, großen Erfolg. In einem Aufsatze der „Dresdner Morgenzeitung“ (1828, S. 605), welcher gegenwärtige Erscheinungen der Musik behandelt, heißt es, daß von neueren Komponisten keiner außer Reissiger berechtige, ein zweiter Hummel zu werden. Der Aufsatz scheint fast das Rechte getroffen zu haben, denn Reissigers konzertmäßige Klaviermusik nimmt eine Mitte ein zwischen dem belanglosen Geklingel der Herz und Hünten und den Klavierkompositionen Mozarts und Webers. Reissiger verbindet klangvolle Melodien und motivische Arbeit mit Stellen, die lediglich weiter schieben (Passagen). Manchmal ist etwas mehr Läuferwerk, als nötig ist, vorhanden. Die leichter wiegende Salonmusik ist auch noch nicht so fade und gemeinverständlich, wie man sie später schrieb. Die Tänze sind „Spieltänze, keine Tanztänze“. Gelegentlich der Herausgabe von Polonäsen werden Reissiger sogar „allerschärfste, schneidendste Dissonanzen, Vorhalte und Durchgänge, das oft urplötzliche Umwerfen der Harmoniefolge bis ins Entlegenste“ vorgeworfen[1], also eine gut moderne Erscheinung bereits bei ihm. Das der Clara Wieck gewidmete Rondo, op. 83, enthält viele chromatische Schritte, hätte sonst aber für die Wieck technisch noch viel schwieriger sein können. Die hervorstechenden Merkmale an einer Kompositionsgattung (z. B. Chromatik beim Lied) sind natürlich hier und da auch bei anderen Gattungen zu finden.

Sehr beliebt war einer seiner einfacheren Walzer (aus op. 26), dessen Titel: „Letzter Gedanke Webers“ nicht von Reissiger stammte, sondern nach dessen eigener Erklärung eine französische Verlegerspekulation war. Weber hatte den Walzer sehr gern gehabt und ihn mehrmals öffentlich gespielt, was die Pariser Firma Pleyel in dieser Weise ausnutzte. So wenig ehrenvoll ich es auch halte, mich wegen Autorschaft um einen Walzer zu streiten, so glaube ich doch, daß dergleichen Vorfälle öffentlich gerügt werden


  1. A. M. Z. 1822 S. 168.