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auf denen prominente SED=Genossen zu den Arbeitern sprechen, um sie zu beruhigen u. ihnen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Da die Regierung tatsächlich ziemlich große Zugeständnisse macht, benutzen die Arbeiter natürlich diese Gelegenheit, um Verbesserungen zu erreichen. Die Erregung u. Unzufriedenheit werden daduch wohl im Augenblick besänftigt, aber die Unzufriedenheit geht heute doch tiefer, als daß sie durch ein paar Zugeständnisse beseitigt werden kann. Die Forderung nach Freien Wahlen ist am 17. Juni zum ersten Male laut geworden u. wird um so weniger verstummen, als die Sperrung der Zonen= bzw. Sektorengrenzen fast jeden einzelnen Arbeiter u. jeden Bewohner des Ostsektors betrifft. Jeder hat Verwandte oder Freunde drüben wohnen u. sehr viele wünschen, drüben Sachen einkaufen zu können, die es hier nicht gibt. Ich, z.B., brauche Zinkweiß um Leinewand grundieren und Farbe anreiben zu können, hier gibt es weder Zinkweiß noch einen Ersatz dafür. Die Leinewand meines jetzigen Bildes mußte ich schon mit Schlemmkreide grundieren, da ich nur noch wenig Zink= bzw. Titanweiß habe, das ich zum Malen benötige. Zum Glück habe ich noch Nägel, sonst könnte ich die Leinewand nicht aufspannen, denn Nägel gibt es hier nicht. Bettinchen bekommt keine Bananen, keine Apfelsinen oder sonst gutes Obst, denn hier gibts nichts, auch Gemüse gibt es nur sparsam u. sehr schlecht. Und so geht es allen, jeder leidet unter der Abschließung u. je länger sie dauern wird, um so unerträglicher wird sie werden. Diese Abschließung aber hängt eng mit der Forderung nach Freien Wahlen zusammen, die Unzufriedenheit darüber wird sich steigern u. es wird zur neuen Explosion kommen, sobald die Russen abgezogen sind. Und immer können sie ja nicht hier bleiben. Magistrat u. Regierung mögen mit Angst dem Tage entgegensehen, wo sie mit ihren Panzern abrücken werden. Vielleicht wird man vorsichtigerweise einige Truppenkontingente hier belassen, so weit man sie unauffällig unterbringen kann. In Zeitungsartikeln findet man Schilderungen von der angeblichen herzlichen Freundschaft zwischen den Berlinern u. den Russen u. es mag in der Tat solche Subjekte geben, die sich dazu hergeben, aber das sind doch nur wenige, es sind die widerlichen Sklavenseelen, an denen das deutsche Volk ja leider nicht arm ist. Ausschlaggebend ist das aber nicht. Die wahre Stimmung des Volkes hört man auf der Straße, u. sie ist anders. – Vor allem ist die ganze KPD. im Bundesgebiet in eine Lage geraten, die dieser Partei bei den Bundestagswahlen im Herbst ja wohl nicht verborgen bleiben wird. –

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Hans Brass: TBHB 1953-07-01. , 1953, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1953-07-01_002.jpg&oldid=- (Version vom 30.4.2024)