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u. dieselben an Pfr. Dr. Tetzlaff, Rektor Bütemeyer, Pfr. Dobezynski, Kaplan P. Jaeger u. Pfr. Feige geschickt. Es heißt darin: „Dieses blutgetränkte Stück Erde einer ehemaligen 700000=Stadt möge nie und nimmer mehr von Menschen besiedelt werden. ... Aus den Seelen u. Herzen von uns allen, die wir hier in einer Schicksalsgemeinschaft ohnegleichen stehen, die wir nicht wissen, ob wir die nächsten Minuten noch erleben, – nur Gott weiß es – aus den Seelen u. Herzen schreie ich es Ihnen in die Heimat hinein: Bestürmt den Himmel! – Gibt es noch eine andere Mission für alle, die noch in etwa gesichert leben, wie die Aufgabe des Betens? – Wer jetzt noch nicht begriffen hat, daß hier nur Gott helfen kann, wer da glaubt, den Soldaten helfen zu müssen u. ohne Gott zu helfen glaubt, der möge doch hierher kommen ... Soeben habe ich eine große Schar von ihnen in einem gewaltigen Granattrichter, hinter der Ruine eines großen Gebäudes, zum eucharistischen Gott geführt. Es war schon dunkel u. alle knieten im Dreck u. falteten die Hände wie Kinder ... Ueber uns brauste ein schweres, feindliches Bombengeschwader. Die Russen haben uns zum Glück nicht gesehen. – Kyrie eleison! – Die Heimat soll es rufen, wie diese Männer es gerufen.“

     Dieser Brief ist datiert vom 3. November 1942, – da fing es in Stalingrad erst an. – Gestern Abend besuchte uns Frl. N. u. Martha bat mich, ihr den Brief vorzulesen, was ich nicht ohne ein leises Beben der Stimme tun kann. Frl. N. aber blieb völlig ungerührt u. ohne jedes Verständnis. – Armer Kaplan Raab! –

Abends.     

Außenminister v. Ribbentrop war vier Tage lang in Italien zur Verhandlung mit Mussolini. Man sagt, Mussolini habe seine Armee, die an der Ostfront steht, zurückverlangt, teils wohl deshalb, weil bald der Angriff auf Italien von Afrika aus zu erwarten ist, teils, weil man den Angriff auf Griechenland erwartet. Das wäre dann auch der Schlüssel zu den neuesten Frontverkürzungen an der Ostfront, denn heute meldet der Heeresbericht, daß Rschew von uns aufgegeben wäre. Ich nehme an, daß man bis dicht vor Smolensk zurückgehen wird, – falls man diese Stadt nicht auch aufgeben muß, womit dann freilich unsere letzte Nord=Süd-Verbindung sehr gefährdet würde. Es scheint also, als ob man entsprechend dem, was ich heute Morgen schrieb, eine russische Offensive auf die Linie Pleskau-Witebsk-Smolensk erwartet.

     Heute sprach ich mit Frau Pastor Kumpf. Sie ist Nationalsozialistin. Sechs Söhne hat sie, – der Aelteste ist bereits gefallen, vier andere sind in Rußland, von denen einer im Kaukasus gewesen ist. Von diesem hat sie seit dem 21. Dezember nichts mehr gehört. Ein anderer steht südlich des Ihnensee, wo schon lange schwere Kämpfe sind. Der jüngste, 15 Jahre, geht zur Schule u. ist jetzt in Wismar zur Flak eingezogen. Eben ziehen wieder englische Bombengeschwader über uns dahin.

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Hans Brass: TBHB 1943-03-03. , 1943, Seite 002. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:HansBrassTagebuch_1943-03-06_001.jpg&oldid=- (Version vom 26.4.2024)