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vielen wichtigen Steuerarten eine so grosse Rolle spielende Steuerüberwälzung in ihrem tatsächlichen Erfolge häufig oder meist nicht einmal mit unbedingter und zweifelloser Sicherheit abzuschätzen ist. Gewisse Unstimmigkeiten, wenn sie auch vielleicht auf ein verhältnismässig geringes Minimum zu beschränken sind, werden bei der rein theoretischen Bildung eines Steuersystems stets noch verbleiben und entsprechend die Gerechtigkeit in der Steuerverteilung beeinträchtigen.

In wie viel höherem Grade muss dieses aber bezüglich des für die reale Wirklichkeit zu bildenden Steuersystems der Fall sein, wo des weiteren nach den tatsächlichen Verhältnissen die Bewegungsfreiheit gehemmt ist und aus solchen neue Schwierigkeiten sich ergeben.

Unter den realen Verhältnissen kommt diesbezüglich einmal in Betracht, dass, wie wir oben schon gesehen, bis zu einem gewissen Grade die historische Entwicklung zu achten ist. Jede Umbildung des Steuersystems hat sich an das von früher Überkommene anzuschliessen. Damit müssen notwendig für das neuere Prinzip, in dem sich wesentlich die gerechte Steuerverteilung zu verkörpern hat, Beeinträchtigungen nach dieser Richtung hin gegeben sein.

Ein anderer ähnlich wirkender Umstand ist der, dass für die Bildung des Gesamtsteuersystems, in welchem die Gerechtigkeit in der Steuerverteilung endgültig zum Ausdruck zu bringen ist, eine Mehrheit von Steuergewalten – Reich, Bundesstaaten, mittlere Verbände (eventuell mehrere), Gemeinde – in Frage kommt, welche in Organisation und betreffender Machtvollkommenheit im grossen und ganzen selbständig nebeneinander stehen und lediglich bezüglich des Gebiets der Besteuerung in den Hauptzügen und zum Teil nur lose gegeneinander abgegrenzt sind. Einerseits dadurch dass diese einzelnen Steuergewalten in unserer Beziehung eine äussere Einwirkung auf einander nicht haben, sondern mehr zusammenhanglos nebeneinander gestellt sind, andererseits dadurch, dass sie bei solcher Sachlage stets in erster Linie das eigene Sonderinteresse ohne Rücksicht auf die Allgemeinheit und die Verhältnisse der anderen Steuergewalten walten lassen werden, ist eine Einheitlichkeit in dem Vorgehen bezüglich der Besteuerung mehr oder weniger ausgeschlossen, eine Einheitlichkeit, wie sie gerade die Vorbedingung für die volle Durchführung der Gerechtigkeit in der Steuerverteilung bilden müsste.

Dazu kommt endlich die Organisation der Steuergewalt, dass über die Besteuerung die vollziehende Gewalt – Regierung – nicht allein, sondern unter Zustimmung der besonderen Vertretung der einzelnen öffentlichen Körperschaft – Parlament – zu entscheiden hat. Aus der Notwendigkeit des Zusammenwirkens von Regierung und Parlament dürfte sich aber vielfach eine ungünstige Einwirkung auf die Durchführung der Gerechtigkeit in der Steuerverteilung ergeben, weil dieselbe vorwiegender von einer zufälligen Verbindung der parlamentarischen Parteiungen bedingt sein kann. Gerade in den Besteuerungsfragen pflegt das besondere Interesse der verschiedenen beteiligten Bevölkerungsgruppen eine grössere Rolle zu spielen und in stärkerem Grade auf die einzelnen parlamentarischen Parteien zurückzuwirken. Folgeweise werden letztere jenes Interesse in erster Linie zum Durchbruch zu bringen bestrebt sein müssen und unter Umständen jede andere Rücksicht, also auch die auf eine Gerechtigkeit in der Steuerverteilung, dahinter zurücktreten lassen. Die Regierung, welche bei dem steigenden Finanzbedarf sich notwendig Steuerquellen erschliessen muss, ist gezwungen, wiederum in erster Linie dem finanzpolitischen Prinzip der Ausreichendheit der Besteuerung zu folgen und eine Ausgestaltung des Steuersystems, wie sie sie allein vom Parlament erreichen kann, anzunehmen, wenn damit auch den übrigen Steuerprinzipien nicht in vollkommener Weise Rechnung getragen ist. In einem höheren Masse muss sich diese letztere Gegenwirkung gegen eine gerechte Steuerverteilung bei der augenblicklichen allgemeinen Lage verschärfen, denn durch diese ist der Finanzbedarf unter den erweiterten kulturellen Aufgaben verhältnismässig sehr erheblich für alle Steuergewalten angewachsen, was gleichzeitig wieder eine stärkere Inanspruchnahme der Steuerquellen bedingt.

11. Endergebnis.

Wenn wir zum Schluss das Endergebnis aus unseren Ausführungen ziehen, so läuft solches auf Folgendes hinaus: Die Gerechtigkeit in der Steuerverteilung, welche in dem Gesamtsteuersystem des staatlichen Gemeinwesens zum Ausdruck kommen muss, beruht auf einer verhältnismässig

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 82. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/98&oldid=- (Version vom 7.9.2021)