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das Geschäft des Grossvaters unter gemeinsamer Firma fortsetzen, nur ein Teil geschäftskundig ist, so sollte dies nur da geschehen, wo wirkliche Garantien für die Güte des Unternehmens vorliegen. Der nichtkaufmännische Teil sollte es vorziehen, aus dem Geschäft ganz auszuscheiden oder, wenn eine sofortige Abfindung nicht gut tunlich ist, als stiller Gesellschafter für die Zukunft sich auf die Haftung mit dem in das Geschäft gesteckten Kapital zu beschränken, da er andernfalls nicht bloss Gefahr läuft, sein ganzes Vermögen zu verlieren, sondern u. U. auch mit dem Straf- oder Konkursgesetz in unliebsame Berührung kommen kann. Innerhalb der Kaufmannswelt ist die offene Handelsgesellschaft dagegen die normale und gesündeste Assoziationsform. Sie bietet den Gläubigern die grösste Sicherheit, weil sie nicht bloss das Gesellschaftsvermögen sondern auch das Privatvermögen der einzelnen Teilhaber angreifen können, ein Satz zwingenden Rechts, der nicht etwa durch interne Vereinbarung der Gesellschafter geändert werden kann. Und sie eröffnet jedem Gesellschafter die freie Betätigung, da in Ermangelung anderer Verabredung jeder zur Geschäftsführung und Vertretung berechtigt ist und nicht das Prinzip der Kollektiv- sondern der Einzeltätigkeit herrscht. Es entspricht deshalb den Bedürfnissen der soliden Kaufmannswelt, wenn nach dem HGB. jede Firmengesellschaft, die sich nicht nach den gesetzlichen Vorschriften über andere Gesellschaftsformen (Kommandit-Aktiengesellschaft etc.) konstituiert hat, als offene Handelsgesellschaft zu betrachten ist, mag sie aus noch so viel Teilhabern bestehen und im internen Vereinsleben selbst eine aktienrechtliche Struktur besitzen. Nach aussen ist sie offene Handelsgesellschaft. –

Von Frankreich her importiert ist die Kommanditgesellschaft. Geschichtlich ist sie aus der gleichen Wurzel, wie die stille Gesellschaft, hervorgegangen, mit der sie im Leben heute auch noch vielfach verwechselt wird. Aber rechtlich unterscheidet sich der Kommanditist vom stillen Gesellschafter dadurch, dass er mit seiner Einlage oder besser ausgedrückt Haftsumme in die Oeffentlichkeit tritt. Er gibt öffentlich an, mit welchem Betrage er an dem Unternehmen beteiligt sei. Das würde noch nicht besagen, dass er Mitinhaber der Firma ist, im Gegenteil die beschränkte Beteiligung spricht gegen solche Auffassung. Aber eine unglückliche Gesetzestechnik hat ihn zum Mitträger der Gesellschaftsfirma gemacht und damit in das ganze Gebilde einen inneren Zwiespalt gebracht, der es wenig tauglich zur Anwendung im Leben erscheinen lässt. Auf der einen Seite der eigentliche Geschäftsinhaber (Komplementär), der unbeschränkt haftet, die Geschäftsführung und Zeichnung der Firma hat, auf der anderen der Kommanditist, der im Grunde nur ein kundgemachter „stiller“ Socius ist, aber vom Gesetz zum Mitträger der Firma erhoben, also Mitgesellschafter und darnach ebenfalls Kaufmann ist. Die letztere Konsequenz will denn auch die Praxis nicht mitmachen und so tobt ein grosser Streit über die Kaufmannseigenschaft des Kommanditisten, an dem eine verfehlte gesetzgeberische Ordnung schuld ist. Im Leben aber spielt die ganze Form eine recht bescheidene Rolle und sie hat sich nicht recht einbürgern können. –

Dagegen hat eine ungeheuere Bedeutung diejenige Assoziationsform erlangt, die das Aktienprinzip verkörpert. Ungezählte Millionen, ja Milliarden stecken in den Vermögensfonds dieser Form und es scheint, als ob die Zukunft ihre Bedeutung noch vergrössern wird. Hervorgegangen aus Kolonialkompagnien haben sich die Aktiengesellschaften über das ganze Gewerbsleben verbreitet, Handel, Industrie, Landwirtschaft, Bergbau, ja auch Versicherungswesen bedienen sich ihrer mit grösster Vorliebe. Ohne sie würden die grossen Erfindungen und Entdeckungen der Neuzeit kaum zu rechter Ausbeute gelangt sein, sie haben die Herrschaft des Menschen über die Natur mitentfalten lassen. Die Frage, ob das Aktienprinzip mehr Segen oder Fluch, Nutzen oder Schaden gebracht hat, kann heute kaum noch aufgeworfen werden. Ihr Endeffekt ist zweifellos eine grosse Vermehrung des Nationalvermögens, so viel Opfer unglückliche Unternehmungen im einzelnen aufweisen. Und nur mit Hilfe des Aktienprinzipes konnten die europäischen und amerikanischen Nationen jene gigantischen Aufgaben erfüllen, wie sie das 19. Jahrhundert gestellt hat und das zwanzigste stellt.

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 317. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/333&oldid=- (Version vom 9.10.2021)