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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

der Klugheit empfehlen. Denn die Befürchtung ist begründet, dass bei deren Aufhebung die Preise der belasteten Waren nicht oder wenigstens nicht um den vollen Steuerbetrag herabgehen würden, da es den Produzenten und Händlern nicht allzu schwer fallen dürfte, durch Verabredungen die dem Publikum vertraut gewordenen Preise aufrecht zu erhalten. Aus dem gleichen Grunde ist auch der Ermässigung der Zuckersteuer, die der Reichstag für das Jahr 1909 beschlossen hatte, aber wegen des gesteigerten Finanzbedarfes wieder aufgeben musste, zu widerraten. Dass Bier und Branntwein relativ hoch belastet sind, während der Wein, abgesehen vom Schaumwein, unbelastet geblieben, ist schwer zu rechtfertigen, auch wenn man die wirtschaftlichen Gründe würdigt, mit denen diese Steuerfreiheit begründet worden ist. Bedauerlich ist, dass das Reich sich das Tabakmonopol entgehen liess und auch die Fabrikatbesteuerung nicht zu erreichen war. Auch das Spiritusmonopol, wie die Reichsregierung es plante, hätte den Vorzug vor der ziemlich komplizierten und dem fiskalischen Interesse weit weniger zuträglichen Steuerumgestaltung im Jahre 1909 verdient. Überhaupt stehen dem fiskalischen Monopol in allen den Fällen, in denen der Privatbetrieb bereits einen monopolistischen Charakter angenommen hat, z. B. im Petroleumhandel, weit weniger Bedenken entgegen, als ihm gemeiniglich nachgesagt zu werden pflegen. Es ist zu verwundern, dass das Publikum sich die hohen Preise eines Privatmonopols gefallen lässt, aber Einspruch erhebt, wenn die hierdurch erzielten Gewinne der Allgemeinheit zugute gebracht werden sollen.

In den Einzelstaaten werden sich die Reformen in der bisherigen Richtung weiter zu bewegen haben: Einkommen- und Vermögenssteuer oder anstelle der letzteren zweckmässig umgestaltete Ertragsteuern werden das Rückgrat des einzelstaatlichen Steuerhaushaltes zu bilden haben. Dabei kann das Ziel nur dahin gehen, diese Steuern, namentlich die Einkommensteuer, immer mehr der individuellen Leistungsfähigkeit anzupassen. In dieser Beziehung ist Deutschland (und Österreich) bereits heute den anderen Kulturstaaten voraus, was die Progression der Steuer betrifft; ebenso in bezug auf Abzug der Produktionskosten und auf Berücksichtigung besonderer, die Leistungsfähigkeit mindernder Umstände. Während die italienische Einkommensteuer nur den Unterschied von fundiertem und nicht fundiertem Einkommen berücksichtigt, sonst aber alle Einkommensgrössen mit einem proportionalen Steuersätze trifft, während England in seiner Income tax nur wenige progressive Stufen bis 700 Pf. St., während Frankreich in seinen Ertragssteuern in der Hauptsache nur proportionale Sätze kennt, beginnen die deutschen Einkommensteuern vielfach mit etwa ½ Prozent und lassen den Steuersatz z. B. in Preussen bis 4 Proz. bei 100 000 M., in Sachsen bis 5 Proz. bei dergleichen Summe, in Bayern bis 5 Proz. bei 300 000 M., in Württemberg bis 5 Proz. bei 200 000 M., in Lübeck bis 6 Proz. bei 100 000 M. Einkommen ansteigen. Gleichwohl sind auch die deutschen Einkommensteuern noch in vielen Einzelheiten verbesserungsfähig und -bedürftig. Zumeist beginnt die Steuerpflicht noch bei sehr kleinen Einkommen. Sachsen-Weimar kennt überhaupt keine untere Grenze; Sondershausen, Lippe beginnen die Besteuerung mit 300, Bayern mit 600, bezw. 300, Württemberg mit 500 M.; in Sachsen ist die unterste Grenze erst jüngst von 300 auf 400 M. heraufgesetzt worden; Preussen und eine Anzahl anderer Staaten (Baden, Hamburg, Braunschweig) lassen Einkommen bis 900 M. von der Steuer frei. Auch die Progression ist im ganzen doch recht unzureichend durchgeführt und de facto mehr eine Degression für die unteren Klassen. Die wenigen Beispiele, die vorhin angeführt wurden, zeigen, dass die Progression verhältnismässig rasch endet. Noch dazu wird diese vielfach dadurch abgeschwächt, dass für die grösseren Einkommen weitgegriffene Klassen mit demselben Steuersätze (nämlich mit dem Prozentbetrage der Anfangssumme der betreffenden Klasse) gebildet sind, so dass Summen im Unterschiede von 10 000 M. und mehr die gleiche Steuer zu bezahlen haben, während in den unteren und mittleren Klassen die Steuer dem Einkommen viel genauer folgt. Auch die die Leistungsfähigkeit mindernden Umstände sollten, zumal in den unteren Klassen, noch ausgiebiger berücksichtigt werden als bisher. Es ist ungerecht, dass z. B. in Preussen der Familienvater mit Frau und Kind bei einem Einkommen bis 6500 M. die gleiche Steuer zu entrichten hat wie der Unverheiratete. Die Ermässigung selbst um 3 Steuerstufen beim Vorhandensein von 5 oder 6 Kindern (innerhalb des eben bezeichneten Einkommensbetrages) bildet kein ausreichendes Äquivalent gegenüber der weit höheren Leistungsfähigkeit der Kinderlosen und Unverheirateten. Die. Ermässigung macht bei 6 Kindern und 6500 M. Einkommen ganze 72 M. aus. Die Frage ist erwägenswert, ob nicht der Unverheiratete einer seiner

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 138. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/154&oldid=- (Version vom 14.9.2021)