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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

Vermögen bis zu 10 000 M. sind frei, bei einem Einkommen von nicht mehr als 2000 M. geht die steuerfreie Vermögensgrenze bis 50 000 M. und bei einem Einkommen von mehr als 2000, aber nicht über 4000 M. auf 30 000 M. Jedoch tritt neben diese Vermögenssteuer eine Einkommenssteuer, beginnend bei einem Einkommen bis zu 10 000 M. mit 1 vom Hundert und ansteigend bis 8 vom Hundert bei einem Einkommen von mehr als 50 000 M. Als Einkommen gilt der auf Grund des Landeseinkommensteuergesetzes als solches festgestellte Betrag. In den Bundesstaaten ohne Einkommensteuer trifft die Landesregierung Bestimmungen über die Ermittelung des Einkommens. Von dem festgestellten Einkommen wird, wenn gleichzeitig ein Vermögensbeitrag pflichtig ist, ein Betrag abgezogen, der einer 5%igen Verzinsung des abgabepflichtigen Vermögens entspricht. Abgabenfrei sind die Einkommen von nicht über 5000 M.

Vermöge der Einsetzung des „steuerfreien Existenzminimums“ mit 5000 M. bleibt die grosse Masse, zumal der Arbeiter, von der Wehrsteuer frei, nur die Schicht der mit mittleren Einkommen Ausgestatteten und der Wohlhabenden, wie Reichen hat als durch sie betroffen zu gelten. Die Einnahmen aus dem Wehrbeitrag sind ausschliesslich zur Deckung der Kosten zu verwenden, die auf Grund der Heeresverstärkungsvorlage von 1913 entstehen.

Bemerkenswert sind die Hinterziehungsstrafen, mit denen der Wehrbeitrag ausgestattet ist. Sie sind weit schärfer als bisher in Deutschland üblich. Der Entwurf hatte nur Geldstrafen vorgesehen, wenn auch solche zu hohem Betrage. Kommission und Plenum des Reichstages haben noch eine Gefängnisstrafe bis zu 6 Monaten zugefügt, auf die neben der Geldstrafe (dem zwanzigfachen Betrage des gefährdeten Wehrbeitrags) im Falle der Absicht der Hinterziehung erkannt werden kann, wenn der gefährdete Beitrag nicht weniger als 10% des geschuldeten Wehrbeitrags, mindestens aber 300 M. erreicht oder wenn der Wehrbeitragspflichtige Vermögen vom In- ins Ausland gebracht hat in der Absicht, dieses Vermögen der Veranlagungsbehörde zu verheimlichen. Einen gewissen Ausgleich bietet die gleichzeitig erklärte Straffreiheit für bisher unter der Staatssteuer hinterzogene Vermögens- oder Einkommensbeträge, wenn sie bei Gelegenheit der Veranlagung zur Wehrsteuer oder in der Zwischenzeit seit Inkrafttreten des Gesetzes bei der Veranlagung zu einer direkten Staats- oder Gemeindesteuer deklariert werden.

2. Entwicklung und Entwicklungstendenzen im Reichsabgabensystem.

In der Entwicklung der Reichsabgaben der letzten Jahre ist, wie schon eingangs bemerkt, als auffallend das verhältnismässige Zurücktreten der Einnahmen aus Zöllen und Aufwandsteuern gegenüber jenen aus Verkehrs- und Einkommensergänzungssteuern zu verzeichnen. Das ist allerdings ein ganz „natürlicher“ Vorgang. Er ergibt sich als notwendig aus der schon in meiner „Reichsfinanzreform“ mit Nachdruck hervorgehobenen Tatsache, dass das Reich insofern in einer „Zwickmühle“ ist, als ein aus dem allgemeinen Wahlrecht hervorgegangener Reichstag direkte Steuern und Durchsetzung der Steuerprogression an allen Ecken und Enden, für welche vor allem die direkten Steuern ein Mittel sind, bevorzugen muss, während aus Rücksicht auf die Bundesverfassung, bezw. die Bundesstaaten, wie aus steuertechnischen Gründen das Reich auf die indirekten Steuern hingewiesen bleibt. Der Begehr nach direkten statt indirekten Steuern und der Kampf um solche mit den Bundesstaaten wird sich im Reiche noch oft wiederholen und gleichzeitig wird der Ausbau der indirekten Steuern verhältnismässig zurückbleiben.[1] Übereinstimmend damit konnte es im Reich zur Errichtung von Monopolen, die eine schärfere Heranziehung des Konsums zulassen, bisher überhaupt nicht kommen. Da das Reich indirekte Steuern nicht will, die direkten aber mindestens im wesentlichen den Einzelstaaten vorbehalten bleiben müssen, war auch die Finanzpolitik der Verlegenheit, die das Reich wiederholt trieb, indem es ohne innere Not, d. h. unter Verzicht auf eine stärkere Erschliessung indirekter Steuerquellen Schulden kontrahierte, durchaus „logisch“, d. h. durch die Verhältnisse bedingt, und wird gleichfalls aller Wahrscheinlichkeit nach, zumal wenn die Verhältnisse des Geldmarkts einer Schuldenwirtschaft günstiger geworden sind, wieder neu aufleben. Insofern aber aus einer anderen inneren Notwendigkeit


  1. Vgl. hierüber Julius Lissner, d. Zukunft der Verbrauchssteuern in Deutschland (Finanzwirtsch. Zeitfragen, 9. Heft) 1914.
Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/110&oldid=- (Version vom 10.9.2021)