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Schulter an Schulter gearbeitet hatte und der im Nebenamte Vertreter des größten Wiener Blattes war. Mein Kollege wurde um vier Uhr morgens in seiner Wohnung von Gendarmen überfallen, man durchwühlte seine Papiere und verhaftete ihn dann, wenngleich man bei ihm, der russischer Reserveoffizier war und in dem von ihm bedienten Wiener Blatte über Rußland nie eine Zeile geschrieben hatte, die nicht in einem beliebigen russischen Blatte hätte abgedruckt werden können, nicht das geringste fand. Man verhaftete ihn nur, weil er für ein feindliches Blatt korrespondierte.

Ich besuchte meinen Kollegen am nächsten Tage und fand ihn in einem Schulgebäude, das provisorisch als Haftlokal für Reichsdeutsche und Österreicher diente, in einer nach Hunderten zählenden Gesellschaft von zumeist zu den angesehensten Vertretern der deutschen Kolonie gehörigen Personen, die das gleiche Schicksal ereilt hatte, wenngleich sie keine Ahnung davon hatten, wessen sie sich eigentlich schuldig gemacht haben sollten.

Vorab ging es in diesem „Gefängnis“, das alle Inhaftierten ohne Ausnahme in Bälde verlassen zu können hofften, noch recht lustig zu; man durfte die Gefangenen besuchen, ihnen Lebensmittel und Bücher bringen, sie durften sich in allen Räumen des großen Hauses frei bewegen, rauchen und Briefe befördern. Leider wurden aber die Gefangenen weder bald entlassen, noch auch konnten sie sich auf die Dauer des in mancher Beziehung fidelen Gefängnisses erfreuen — wenige Tage später hieß es, daß mein Freund und seine Leidensgenossen in das sog. Verschickungsgefängnis überführt seien. Ihr Schicksal hatte also eine durchaus tragische Wendung genommen, denn abgesehen davon, daß das Verschickungsgefängnis eine Kloake von unsäglicher Verschmutzung darstellte, könnte über seiner Tür das Dantesche Wort: „Laßt die Hoffnung hinter euch!“ stehen. Wer das Verschickungsgefängnis betritt, verläßt es nur, um in die Verbannung zu gehen.

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Oskar Grosberg: Russische Schattenbilder aus Krieg und Revolution. C. F. Amelang, Leipzig 1918, Seite 28. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:GrosbergRussischeSchattenbilder.pdf/32&oldid=- (Version vom 1.8.2018)