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5, 87) Ali Djohari solch einen Lebensbaum, und nicht bloß im 17. Jahrhundert, sondern noch im 19. brach man in Deutschland und Frankreich öfter einen Stengel Telephium oder Crassula ab und pflanzte ihn ein, um durch sein Gedeihen ein Orakel über das Ergehen eines Abwesenden zu erhalten[1]. In Simrocks Märchen nr. 63 machen die Brüder Schnitte in den Baum, die sich blutrot färben, wenn sie in Not sind; ebenso bei Gonzenbach nr. 40. Olwier hinterläßt seinem Gesellen Artus eine Flasche Wasser, das sich trüben soll, wenn er in Gefahr gerät (Ziely 1521 cap. 10). Bei Basile 1, nr. 9 versiegt in solchem Falle ein Brunnen. Im toskanischen Märchen bei Nerucci nr. 8 und im schwedischen bei Cavallius nr. 5 trübt sich eine Quelle, oder die Milch im Kruge wird rot, im russischen bei Ralston p. 107 wird das Blut im Glase dunkel. Anderwärts (Zs. f. Volkskunde 20, 70) erfährt der Bruder oder die Gattin durch ein blutendes Tuch oder Bürste, einen sich trübenden Spiegel oder Ringstein, einen pressenden Ring, einen zerspringenden Becher, einen umstürzenden Speer, zerreißende Saiten einer Zither u. ä. von der Gefahr des Helden. Auf ebenso übernatürlicher Telegraphie wie diese Lebenszeichen beruhen die Keuschheitszeichen der fernen Gattin[2]. Im persischen Tutinameh (Iken nr. 4. Rosen 1, 83. G. Paris, Romania 23, 88. North Indian Notes 5, 86 nr. 205) gibt die Frau dem Mann einen Blumenstrauß mit auf den Weg; so lange er sich frisch zeigt, ist sie ihm treu geblieben, welkt er, so hat sie eine Untreue begangen. In den Gesta Romanorum c. 69 (R. Köhler 2, 446. Schullerus, Archiv f. siebenbg. Landeskunde 33, 477 nr. 39) bewährt ein stets weiß bleibendes Hemd, bei Bandello (Novelle 1, nr. 21) ein sich nicht trübendes Bildnis, im Volksliede (Zs. f. Volkskunde 20, 66) ein nicht zerbrechender Ring die Treue der entfernten geliebten Frau.

Das Abenteuer des Helden in der Räuberherberge, das uns in der Zwehrner Fassung, bei Simrock und Pröhle begegnete, tritt auch bei Bechstein, NM nr. 17 ‘Der Wandergeselle’ auf; vgl. unten nr. 199 ‘Der Stiefel von Büffelleder’. Bei Bünker nr. 87 überlistet der Fleischhauerjunge einen Räuber durch die Bitte, ihm


  1. M. Schmuck, Secretorum naturalium thesauriolus 2, 36 (Nürnberg 1653). Strackerjan ² 1, 32. 105. Witzschel 2, 291. Mannhardt, Wald- und Feldkulte 1, 48. 2, 23. Sébillot, Folklore de France 3, 507. 527.
  2. Dunlop-Liebrecht, Prosadichtungen 1851 S. 85. 287. Clouston 1, 172. Chauvin 7, 167. Bolte, Zs. f. Volkskunde 19, 67.
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 546. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_546.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)