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3, 145–286 (1811. Sämtliche Schriften 60, 9) hinzugefügt[1]. Hier wird auch nicht der Täufling Doktor, sondern der Vater; aus Habgier dreht er den Fürsten, für dessen Heilung ihm grosse Reichtümer versprochen sind, herum. Um sich für die Überlistung zu rächen, führt der Tod seinen Gevatter in die Höhle, wo viel tausend Lichter brennen, und zeigt ihm auch sein Lebenslicht, das ein kleines Stümpfchen ist. Dem Gevatter wird angst, er bittet den Tod, ein neues Licht für ihn anzuzünden; der weigert sich erst und läßt dann dabei das brennende Stümpfchen hinfallen, und damit sinkt auch der Gevatter tot um.

Das Märchen, über das R. Köhler (Gering, Islendzk Aeventyri 2, 149. 1883), Gustav Meyer (Essays und Studien 1, 242. 1885), J. Bolte (Zs. f. Volkskunde 4, 35. 1894) und G. Polívka (Národopisný Sborník českoslovanský 10, 188. 1904) gehandelt haben, läßt sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen; doch erscheinen die Gewinnung des Todes zum Taufgevatter und seine Überlistung durch den Arzt ursprünglich getrennt. – In dem isländischen Märchen ‘Der Königssohn und der Tod’, das wahrscheinlich von dem 1339 verstorbenen Bischof Jón Halldórsson niedergeschrieben ist (Gering, Islendzk Aeventyri 2, 143 nr. 78. Cederschiöld, Sv. landsmålen 5, 6, 58), verspricht ein unbekannter Meister, den Königssohn geheime Weisheit zu lehren, von der kein lebender Mensch gehört habe. Drei Jahre lang sitzt der Knabe demütig schweigend im einsamen Waldhause zu Füssen des schweigenden Meisters; dann offenbart ihm dieser seinen Namen Mors und heißt ihn zu allen Kranken gehen; dort werde er seinen Meister gewahren entweder neben den Füßen des Kranken sitzend oder an der Seite oder am Kopfe, und daraus könne er merken, ob die Krankheit lang und nicht schwer, kürzer und schwerer, doch nicht lebensgefährlich, oder endlich tödlich sei; auch könne er in den beiden ersten Fällen den Vogel Karadius[2] dem Kranken vors Gesicht halten, damit er die Krankheit wegnehme


  1. Vgl. Hamann, Die literarischen Vorlagen 1906 S. 69.
  2. Über diesen Vogel χαραδριός (Wiedehopf, Eule?) lehrt Freidank, Bescheidenheit S. 148,7:

    Karadrîus ein vogel ist,
    des sinne gânt für mannes list:
    swelchen siechen er gesiht,
    dem enwirret schiere niht;
    swelch sieche niht genesen kan,
    den gesiht er niemer an.

    Pauly-Wissowa, Realencyclopädie 3, 2115. Lauchert, Geschichte des Physiologus 1889 S. 7. 153. 169. 198. Karnějev, Materialy i zamětki po literat. istorii Fiziologa S. 179. Zs. f. dt. Mythol. 1, 319.

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 378. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_378.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)