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Freys Fassung, die auch ins Lateinische (Hulsbusch, Sylva sermonum iucundissimorum 1568 p. 104), Niederdeutsche (Wegekörter 1592 Bl. A 8a = Colshorn, Märchen 1854 nr. 84) und Niederländische (Groot Klugt-boeck 1680 S. 182) übertragen und von den Brüdern Grimm 1812 als nr. 32, II abgedruckt wurde, lautet:

Im Geblinger Tal da wohnt eine sehr reiche Wittfrau, die hätt einen einigen Sohn; der war einer groben und tollen Verständnis, er war auch der allernärrischste Mensch unter allen Einwohnern desselbigen Tals. Derselbige Geck sahe auf eine Zeit zu Saarbrücken eines wohlgeachten herrlichen Manns Tochter, die eine schöne, wohlgestalte, verständige Jungfrau war. Der Narr ward ihr gleich hold und lag der Mutter an, daß sie ihm dieselbige zu einer Frauen schaffen wollte; wo nicht, so wollte er Öfen und Fenster einschlagen und alle Stiegen im Haus abbrechen. Die Mutter wußt und sahe wohl ihres närrischen Sohns Kopf und fürcht, wenn sie ihn gleichwohl um die Jungfrau werben ließe und ihm ein groß Gut dazu gäbe, so wär er doch ein so ungehobelter Esel, daß nichts mit ihm auszurichten oder versehen wäre. Wiewohl aber der Jungfrauen Eltern herrliche Leute und von gutem Geschlecht, so waren sie doch also gar arm, daß sie Armut halber die Tochter ihrem Stand nach nit wußten zu versorgen, derhalben diese Werbung desto leichter Statt gewann. Die Mutter fürchte nun auch, dieweil ihr Sohn also ein großer ungeschickter Götz wäre, daß ihn vielleicht die Jungfrau nit wöllen haben, gab ihm darum allerhand Lehren, damit er sich bei der Braut fein höflich zuthun und hurtig machen könnte. Und als der Klotz erstlich mit der Jungfrau redt, da schenkt sie ihm ein hübsch Paar Handschuh aus weichem Corduanleder gemacht. Lauel that sie an, zog heim; so kommt ein großer Regen, er behielt die Handschuhe an, galt gleich, ob sie naß wurden oder nit. Wie er über einen Steg will gehn, so glitscht er aus und fällt ins Wasser und Moor. Er kommt heim, war wohl besudelt, die Handschuhe waren eitel Fleisch; klagts der Mutter. Die gut alt Mutter schalt ihn und sagte, er sollts ins Fazziletlin (Schnupftuch) gewickelt und in Busen gestoßen haben. Bald darnach zeucht der gut Löffel wieder zu der Jungfrauen; sie fragt nach den Handschuhen, er sagt ihr, wie es ihm mit gegangen wäre. Sie lacht und merkt das erst Stück seiner Weisheit und schenkt ihm ein Habicht. Er nahm ihn, ging heim und gedacht an der Mutter Rede, würgt den Habicht, wickelt ihn in sein Brusttuch und stieß ihn in den Busen. Kam heim, wollt

Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 312. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_312.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)