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Er antwortet:

‘Deine Mädchen spinnen nicht mehr,
Dein Glöckchen klingt nicht mehr,
Dein kleiner Sohn weint allzusehr.’

Eine vierte Aufzeichnung, die W. Busch (Ut ôler Welt 1910 S. 23) um 1850 in Wiedensahl machte, enthält ähnliche Verse, aber der Bruder der Heldin ist darin ganz fortgefallen.

Diese Erzählungen gehören zu dem von Arfert[1] übersichtlich und sorgsam behandelten Märchen von der untergeschobenen Braut, in denen eine unschuldige Frau durch ihre Stiefmutter im Kindbett oder schon vorher auf dem Wege zur Hochzeit gewaltsam beseitigt und durch eine häßliche Stiefschwester[2] ersetzt wird; nachts kehrt sie in Entengestalt wieder, um sich beim Küchenjungen nach den Ihrigen zu erkundigen, oder in Menschengestalt, um ihr Kind zu tränken. Die Schönheit der guten Schwester und die Häßlichkeit der bösen wird in den drei Männlein im Walde (nr. 13) und in der weißen und schwarzen Braut (nr. 135) durch eine Begegnung mit überirdischen Wesen ähnlich wie in der Frau Holle (nr. 24) begründet; in mehreren Erzählungen aber, nämlich unsrer nr. 11, im Lämmchen und Fischchen (nr. 141) und in der weißen und schwarzen Braut (nr. 135), hat die Heldin einen rechten Bruder, der mit ihr leidet; in nr. 135 ist er Kutscher beim König, muß die schöne Schwester als Braut für diesen holen und wird, als er dafür unwissend die garstige Stiefschwester bringt, in eine Schlangengrube geworfen; in nr. 11 und 141 wird er gleich zu Anfang durch Veranstaltung der Stiefmutter in ein Reh oder Lamm verwandelt, von der Schwester mit an den Hof genommen und soll auf Befehl der falschen Königin geschlachtet werden; in Reimversen klagen die verwandelten Geschwister einander ihre Todesnot, was ein Lauscher dem Könige meldet, wie anderwärts die nächtliche Erscheinung der toten Gattin.[3] Wir haben also folgende Motive zu unterscheiden:


  1. P. Arfert, Das Motiv von der unterschobenen Braut in der internationalen Erzählungsliteratur, Diss. Rostock 1897.
  2. In der Gänsemagd (nr. 89) wird die Braut von der Dienerin genötigt, unterwegs mit ihr zu tauschen; die Jungfrau Maleen (nr. 198) dagegen, welche die unwürdige Braut des Prinzen bei der Hochzeit vertreten muß, offenbart sich als die rechtmäßige frühere Verlobte des Bräutigams.
  3. Johannes Victoriensis (2, 8 ad a. 1287, bei Böhmer, Fontes 1, 323. Uhland, Schriften 8, 454).
Empfohlene Zitierweise:
Johannes Bolte, Jiří Polívka: Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I. Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1913, Seite 85. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Grimms_M%C3%A4rchen_Anmerkungen_(Bolte_Polivka)_I_085.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)