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Trost auf dieser Welt ist die Hoffnung auf das Jenseits. »Wann werde ich kommen und das Antlitz Gottes sehen?« Daraus schließt mein kleiner Verstand, daß dem Armen das Sterben nicht schwer fällt und er es gar mit Ungeduld erwartet.

Ganz anders der reiche Bösewicht, der all seine Wollust in Gut und Geld genommen hat; der sieht nichts anderes vor sich, als lauter Gutes. Es geht ihm und seinen Kindern ganz wohl, es hindert ihn nichts. Aber wenn dem seine Zeit kommt, daß er soll von dieser Welt gehen, und er weiß, was für Lust und Gutes und Freude er in dieser Welt gehabt hat – besonders wenn er sich in seinen letzten Betrachtungen befindet und er bedenkt, welches Gute Gott ihm in dieser Welt gegeben hat – und wenn er bedenkt, daß er dem Höchsten nicht recht gedient und sein Amt nicht richtig versehen hat, gewiß, wenn er daran denkt, daß er von all seinem Reichtum weggehen und von dieser Welt scheiden und in die ewige Welt eingehen muß, daß er muß sein Amt niederlegen und Rechnung geben, wie er sich im Diesseits verhalten hat – dann wird ihm die Reise viel schwerer und saurer ankommen als nebbich den Armen.

Wozu soll ich noch dabei verweilen, meine lieben Kinder. Ich habe dieses angefangen zu schreiben mit Gottes Hilfe nach dem Tode eures frommen Vaters, und es hat mir wohl getan, wenn mir die melancholischen Gedanken gekommen sind, aus schweren Sorgen, als wir waren wie eine Herde ohne Hirt und wir unseren getreuen Hirten verloren haben. Ich habe manche Nacht schlaflos zugebracht und ich habe besorgt, daß ich nicht, Gott bewahre, in melancholische Gedanken sollte kommen. Darum bin ich oft nachts aufgestanden und habe die schlaflosen Stunden damit zugebracht.

Meine lieben Kinder, ich gehe nicht darauf aus, euch ein Moralbuch zu machen und zu schreiben, ich bin nicht kapabel dazu, dazu sind unsere Weisen da, die viele Bücher darüber geschrieben haben. Wir haben unsere heilige Thora, damit wir alles daraus ersehen und begreifen können, was uns nützlich ist und was uns vom Diesseits in das Leben

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Glikl bas Judah Leib: Die Memoiren der Glückel von Hameln. Wien, 1910, Seite 3. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Glueckel_003.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)