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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 7

Ein „Ritualmord‘‘- Prozeß.
Eine Verhandlung vor dem Schwurgericht zu Danzig.
(April 1885.)

Der Aberglaube, daß Blut von unschuldigen Kindern und Jungfrauen zur Heilung hartnäckiger Krankheiten eine große Wirksamkeit habe, war bereits im grauen Altertum verbreite. Schon Plinius und andere Forscher behaupten, daß der Auszug der Juden aus Ägypten erfolgt sei, weil König Pharao zur Heilung des Aussatzes, an dem er litt, das Blut von 150 Judenkindern verlangt habe. Im alten Rom wurden die Christen des Ritualmordes beschuldigt. So sehr auch Kirchenväter und hervorragende christliche Schriftsteller sich bemühten, diese ungeheuerliche Beschuldigung zu widerlegen, so folgte doch jeder derartigen Anklage fast immer eine blutige Christenverfolgung, bis das Christentum Staatsreligion wurde. War es hier die mißverstandene Abendmahlsfeier, die den Verdacht erregte, so scheint eine mittelalterliche jüdische Zeremonie, bei welcher dem Andenken der von Pharao ermordeten Judenkinder vier Becher Wein gewidmet wurden, den ersten Anlaß zu der Beschuldigung gegeben zu haben, daß die Juden alljährlich bei ihrem Passahfest ein Christenkind ermordeten, um sich bei der Feier des Blutes zu bedienen, oder auch um es den Mazzes beizumischen. Diese Beschuldigung soll zuerst bei der großen Judenaustreibung aus Frankreich unter Philipp II (1180—1220) aufgetaucht sein. Seitdem ist diese Beschuldigung in den verschiedensten Gegenden der Welt bis in die heutige Zeit immer wieder

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 7. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_7_(1912).djvu/69&oldid=- (Version vom 28.3.2023)