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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 7

reiste ich zwecks Ordnung von Familienangelegenheiten nach Berlin. Die politischen Verhältnisse hatten seit meiner Ausweisung eine totale Umgestaltung erfahren. Eine Revolution von oben hatte den alten deutschen Bund zerstört, ein gemeinsames Staatsbürgerrecht war durch das in den Grundzügen bereits veröffentlichte Wahlgesetz für den Reichstag des neugeschlossenen Norddeutschen Bundes hergestellt und obendrein war eine Amnestie für alle politischen Vergehen und Verbrechen erfolgt. Wie konnte ich unter solchen Umständen annehmen, daß das Ausweisungsdekret vom vorhergehenden Jahre noch in Kraft besteht und ich noch immer ein „Ausländer“ in Preußen bin? Ich bewegte mich daher auch ganz öffentlich in Berlin und trug nach mehreren Tagen ungestörten Aufenthalts kein Bedenken, im Berliner Buchdruckerverein, der, wie alle Vereine in Preußen, polizeilich überwacht wird, einen Vortrag zu halten. Auf dem Heimwege von dem Vereinslokal, nachts 11 Uhr, wurde ich in der Friedrichstraße verhaftet und in die Stadtvogtei abgeführt. Nach dreiwöchentlicher Untersuchungshaft wurde ich vom Berliner Stadtgericht wegen Bannbruchs zu drei Monaten Gefängnis verurteilt. Ich verschmähte es, gegen das Urteil zu appellieren, da ich günstigenfalls länger als drei Monate in Untersuchungshaft hätte bleiben müssen, also auch bei definitiver Freisprechung für den Appell gegen das ungerechte Urteil tatsächlich noch bestraft worden wäre. Ich erklärte den Herren vom Berliner Stadtgericht: Nicht an die „Richter von Berlin“ werde ich appellieren, sondern an eine höhere Instanz: an die öffentliche Meinung. Und ich habe dies nach meiner Freilassung getan, in der Presse und von der Tribüne des Norddeutschen Reichstags. Ich bin nun am Ende. Nur ungern, meine Herren Richter und Geschworenen, habe ich mich zu dieser längeren Ausführung verstanden, allein das unbegreiflicherweise hier zur Verlesung gebrachte Gießener Polizeifabrikat, das gebührend zu charakterisieren mir die dem Gerichtshof schuldige Achtung

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Hugo Friedländer: Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung, Band 7. Hermann Barsdorf, Berlin 1912, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Friedlaender-Interessante_Kriminal-Prozesse-Band_7_(1912).djvu/141&oldid=- (Version vom 14.3.2023)